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Hermann Sudermanns Erzählungen
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Hermann Sndermanns Erzählungen

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geringste Unrecht gefallen lassen will, beinahe ein Don Quixote des Eigen­willens. Dieser Sprnng des Dichters von dem einen psychologischen Problem in sein gerades Gegenteil ist gewiß ein Zeugnis für das große künstlerische Streben Sndermanns. Nur schade, daß der Sprung nicht gelungen ist. Für Boleslav von Schrauben werden wir nicht entfernt so erwärmt wie sür Paul Mehhöfer, er bleibt uns im ganzen Buche nicht recht verständlich. Der Fehler liegt in der Exposition der Handlung. Dazu kommt noch die Neigung, die Geschlechtsliebe als Brunst, beinahe im Stile Sacher-Masochs zu schildern, was auch nicht nach unserm Geschmack ist.

DerKatzeusteg" führt uus wieder in den fernen Nordosten Preußens, an die polnische Grenze und zurück in das Jahr 1814. Boleslav hat gerade so wie Paul einen schlechten Vater gehabt. Der alte Freiherr von Schrauben war ein roher, rücksichtsloser Junker, der seine Leibeignen aufs Blut quälte, die Männer peitschte, die schönen Dvrfmädcheu verführte. Seine gute Frau brachte er früh ins Grab; seinen Sohn Boleslav schickte er als erwachsenen Knaben nach Berlin in die Schule. Zu allen seinen Untugenden trat noch ein unbegreiflicher Deutschenhaß, obwohl er selbst aus deutschem Geschlechte war. Im Kriege gegen die Franzosen ließ er sich mit polnischen Politikern ein, die Pvlen mit Hilfe Napoleons wiederherstellen zu touueu glaubten, uud zwar ging er so weit, daß er Verrat an seinem Vaterlande übte. Über den sogenannten Katzensteg, der an seinem sonst schwer zugänglichen Schlosse vor­beiging, ließ Schrauben die feindlichen Franzosen den Preußen in den Rücken führen, die in der That auch dabei fielen. Ein armes, schönes Mädchen Re­gine, das der Freiherr verführt hatte, diente ihm bei diesem Landesverrat als willenloses Werkzeug. Diese Verrüterei nun brachte das Maß des Unwillens und Hasses, das Schranden ohnehin schon gegen sich aufgesammelt hatte, zum Überlaufen. Er wurde in Acht und Bann erklärt, schließlich sein Schloß an­gezündet, sodnß er alles bis auf seinen baren Geldbesitz verlor. In den Trümmern des Schlosses richtete er sich mit der armen Regiue, die ebenso schön als gutmütig, ja eiue weibliche Ausgabe von Paul Mehhöfer ist, so gut als möglich ein. Mit den Schrandcnern aber lebte er auf dem Kriegsfuß, es wurde hin und her geschossen. Bei einem solchen Zusammenstoß starb er vom Schlage gerührt, und die sämtlichen Einwohner verweigerten seiner Leiche die Aufnahme in den Ortsfriedhof, der die freiherrliche Familiengruft enthielt, ja sie wollten ihm nicht einmal eiueu Sarg zimmern lassen.

Gerade zu diesem Streit kommt Boleslav nach langen Jahren der Ab­wesenheit wieder in die Heimat zurück. Er hat schon in der Ferne unter den Folgen des Verbrechens seines Vaters gelitten. Der Name Schranden ver­schloß ihm alle Thüren und alle Menschen. Dennoch trieb ihn seine Vater­landsliebe zur Teilnahme an dem Feldzugc Blüchers gegen Napoleon; unter dem Namen Baumgart trat er in die Truppe der Freiwilligen und zeichnete sich