Beitrag 
Hermann Sudermanns Erzählungen
Seite
409
Einzelbild herunterladen
 

409

an der Seite der guten, aber ganz eingeschüchterten Mutter heran. Vor ihm sind schon zwei Söhne da, die in die Hauptstadt geschickt werden, nin zn studiren; diesepnmpen" nur, aber sie zahlen nicht. Nach Paul ist nvch ein Zwillingspaar von Schwestern da, die als die schönsten Mädchen der Gegend mit ihrer frischen Munterkeit und auch mit ihrem Leichtsinn gleichfalls in Kontrast zu ihm treten. Der Knabe Paul, der im Hause immer für dumm und unbrauchbar erklärt wird, weil der Alte nicht auch für ihn Geld zum Studiren hergeben null, hat schon in der Dorfschule nicht die Gabe, sich geltend zn machen, er läßt sich ungerächt hänseln, bestehlen, prügeln. Aber er lebt in der Stille doch ein reges Gedankenleben, ist keineswegs unbegabt, hat immer den Trieb, etwas zu thun, nur die Schüchternheit wird er uicht los, und sie bildet sich zu einer an Hypochondrie grenzenden Gewissenhaftigkeit aus. Diese treibt ihn an, sich nützlich zu machen, und darin bringt er es so weit im Lanfe der Jahre, daß er der Mutter das Regiment abnimmt und in unermüdlicher Arbeit die Wirtschaft verbessert, Vater, Brüder und Schwestern durch seine Thätigkeit ernährt. Dennoch darf er sich selbst nie als den Erhalter des Hanses fühlen nud benehmen. Er hat einmal den Vater und alle Welt daran gewöhnt, ihn für dnmm zu halten, und dabei muß es bleiben.

Es kommt in jeder Familie vor, daß sich die Eltern und Geschwister am wenigsten kennen; mit dem Bilde des Kindes im Geiste behandeln sie den älter gewordenen Sohn noch so, wie er vor zehn Jahren war; seine innere Wandlung merken sie gar nicht. So wird anch Paul immer ins Duukel geschoben, fast schämt man sich seiner. Denn wie er als Dorfschüler einsam blieb, so benimmt er sich auch mm in Gesellschaft als eine ungesellige Natur. Er kaun nicht spielen, macht keine Witze, kann nicht tändeln, hat gar kein Organ für Weltlust, für Tanzen und Hofmachen. Dies zeigt sich in seinem Verkehr mit der Familie Douglas, die dasweiße Haus" uach Abzug der Meyhöfers bezogen hat, und deren schöne Tochter Paul liebt. Aber anch in der Liebe ist er zaghaft, beinahe läßt er sich das Mädchen von einem Modegecken wegnehmen. Paul kann nicht nm Liebe werben. Je älter er wird, umso zahlreicher werden die Pflichten, die er auf sich lasten fühlt. Er kennt überhaupt nur Pflichten, keine Rechte. Nur wenn er pfeift, stiehlt sich ein Sonnenstrahl von Vergnügen in sein Gemüt; zum Flötenspielenlernen hat er keine Muße gefunden, so pfeift er sich eins aus musikalischem Triebe, wenn sein Herz voll ist.

Als die Zwillingsschwestcrn herangewachsen sind, fühlt Paul an Stelle des verlotterten Vaters sich geradezu verpflichtet, ihnen eine ausreichende Mit­gift zu erwerbeu, damit sie heiraten können. Da macht er die Entdeckung, daß sie sich mit den Brüdern Erdmaun so weit eingelassen haben, daß sie von diesen um jeden Preis geheiratet werden müssen, wenn sie nicht in Schande geraten sollen. Kostbar ist es nun, wie sich der Hypochonder Paul bei diesem Zwange, eine That zu leisten, benimmt: wo er fordern soll, bettelt er. Die Grenzboten III 1890 62