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Der Patriotismus als Wurzel der Sittlichkeit
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Der Patriotismus als Wurzel der Sittlichkeit

in den hellen Wahnsinn der Gründer- und Tingeltangelwirtschaft ausbrach. Dieser Wirknng der großen Siege, so natürlich sie war, mußte nun allerdings und muß auch in Zukunft entgegengewirkt werden, nicht durch Bußpredigten, die nur verlacht werden würden, sondern durch die Jugenderziehung und den Erwachseneu gegenüber durch verstandesmäßige, kühle Erwägung, die das Un­vernünftige und Schädliche solchen Treibens klar zu machen sucht.

Siud wir demnach, wie gesagt, mit dem Verfasser vollkommen einverstanden in der Ansicht, daß unser Patriotismus sorglicher Pflege, in viele» einzelnen Fälleu der Reinigung, Vertiefung, Klärung und Stärkung bedürfe, daß sogar der Patriotismus mancher Leute als Heuchelei entlarvt werden müsse, um der Ausbreitung dieses Übels vorzubeugen, so müssen wir ihm doch zum Vorwurfe machen, daß er einen der wichtigsten Punkte übersehen hat, nämlich die Schwierigkeit, die der Verallgemeinerung des Patriotismus entgegensteht. Dieses Übersehe» befremdet um so mehr, als er die Schwierigkeit bei den alten Staaten erkannt und mit dein WorteSklaverei" anch ausgesprochen hat.

Wie wir schon bemerkten, die Forderung, daß der Patriot vom Staate keinen Vorteil erwarten dürfe, wäre einfach lächerlich. Der Staat ist eben dazu da, deu Einzelnen manche Vorteile zu sichern, die sie sich in der Ver­einzelung nicht zu verschaffen vermögen. Zwar giebt es bei uns in Prenßen noch eine höhere Auffassung des Staates, nach der er die verkörperte sittliche Weltordnuug und der Quell aller höhern Kultur ist, nud in dieser Eigenschaft, als höchstes Gut, auch von denen geliebt werden muß, denen er keinen materiellen Vorteil gewährt; allein diese erhabene Staatsidee ist der Masse unzugänglich und wird selbst von den Gebildeten mehr mit beifälligem Kopfnicken nach­gesprochen als im Herzen empfnnden. Außerdem wird sie von zwei großen Parteien entschieden abgelehnt, deren eine die Kirche und deren andre die gebildete Menschheit aller Staaten für die Trägerin der höchsten Kultnranf- gaben erklärt. Wer bei seinen patriotischen Vestrebuugeu den Boden im Volke nicht verlieren will, wird also zunächst das Hauptgewicht auf die greifbaren und verständlichen Vorteile legen, die der Staat seinen Bürgern gewährt. Es ist gewiß schändlich, wenn einer für die Vorteile, die ihm der Staat gewährt, nicht einmal die Steuer zahlen will, die er zu zahlen schuldig ist; man darf auch fordern, daß der Patriot in außerordentlichen Fällen außerordentliche Opfer bringe und auf Vorteile verzichte; aber in gewöhnlicher Zeit angemessene Vorteile vom Staate zu erwarten, das ist ganz und gar nicht schändlich, sondern natürlich und notwendig.

Nun ist es klar, daß die Reichen im Staate, die gewöhnlich die Klinke der Gesetzgebung in der Hand haben, sich selbst zuerst bedenke» werden, uud daß sie vor allen andern Staaten gerade diesen Staat schätzen, der ihnen solche Vorteile sichert und der eigentlich mit ihnen, mit ihrer Gesamtheit zu- sanunenfällt. Und ebenso klar ist es, daß die Armen, die als rechtlose