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Der Patriotismus als Wurzel der Sittlichkeit
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Der Patriotismus als Wurzel der Sittlichkeit

Das Christentum war an sich nicht staatsfeindlich, wurde es aber dnrch die Hierarchie. Brecht zählt einige der bekannten Anmaßnugeu der Päpste auf und zeigt, wie sie das Staatsleben Europas ans ein Jahrtausend im Keime erstickt hätten. Diese Auffassung herrscht zwar in Deutschland immer noch, aber sie ist trotzdem falsch. Mag es vielen Päpsten nicht am bösen Willen gefehlt haben, die Macht, ihn durchzusetzen, fehlte ihnen. Wenn nicht sofort nach dem Untergänge des weströmischen Reiches Nationalstaaten fertig wurden, womöglich mit den heutigen Grenzen, so lag das nicht an den Päpsten, sondern daran, daß die Nationen selber noch nicht fertig und die Grenzen wegen unaufhörlicher Eroberungskriege fließend waren. Die Herstellung eines Groß- staates nach heutigem oder altasintischem Muster war bis ins zweite Jahr­tausend hinein auch schon aus dem Grunde unmöglich, weil die drei Bedingungen dafür: das stehende Heer, das geschulte Beamtentum und die Verkehrsanstalten, mit dem römischen Reiche zu Grunde gegangen waren und erst im Laufe der Jahrhunderte mühsam von neuem geschaffen werden mußten. Wenu es trotzdem Karl dem Großen gelang, ein kurzlebiges Riesenreich aufzurichten, und wenn die Kaiser aus dem sächsischen nnd deni fränkischen Hause eiue gewaltige Macht eutfalteten, so war ihnen das nur möglich, weil ihnen die Kirche das zweite der genannten Elemente lieh (sehr bezeichnend haben die Romanen aus elurie,»» ulsrc;, englisch c-lsrlc, Schreibstubeumensch, gebildet) und teilweise auch das erste; denn die geistliche» Lehnsträger waren die einzigen, aus deren Mannen sie sicher zählen konnten; auch die Reichsfinanzen ruhten gnteu Teils ans den geistlichen Gütern. Daß dann in den, Konflikte zwischen dem Kaiser und dem Oberhaupte jener Kirche, die ihm bis dahin den Regiernngsapparat geliefert hatte, die Reichsfnrsten gegen den Kaiser Partei nahmen (ohne ihre Unter- stütznng wären alle päpstlichen Bannsprüche Schläge ins Wasser gewesen), darf ihnen nicht als Reichs- und Baterlandsverrat im heutigen Sinne angerechnet werden. Die deutschen Stämme hausten so zerstreut und so weit von einander entfernt und hatten so weuig Berührung mit einander, daß ihneu ihre Zuge­hörigkeit zu einem Volke erst im zehnten Jahrhundert zum Bewußtsein kam, als sie ans den Römerzügen hörten, wie sie von den Leuten jenseits der Berge mit dein gemeinsamen Namen ^väö8<zlli gerufen wurden; sie selber hatten bis dahin nichts andres gewußt, als daß sie Sachsen, Franken, Lothringer, Ale­mannen oder Baiern waren, nnd daß ihre Herzoge sich einen gemeinsamen König gewählt hatten, ohne ans ihre Selbständigkeit zn verzichten. Die Wahl war ein Vertrag, nnd hielt ihn der König nicht, so waren auch die Fürsten "icht mehr daran gebunden. Unser Begriff der Souveränität war jener Zeit und ist dem ursprünglichen Germanentum völlig fremd, er ist erst später durch das römische Recht eingeführt worden. Namentlich aber erlangten die sächsischen und die bairischen Fürsten durch ihre ganz selbständig und ohne namhafte Hilfe des Königs vollführten Eroberungen in den Slawenländern einen solchen Grad