Viktor Hehn
erklären wollen. Die beiden kleinen Stübchen drei Treppen hoch, die er in Berlin bewohnte, erinnerten in ihrer stoischen Anspruchslosigkeit, nichts ahnend von „unserm so herrlich aufblüheuden Kunsthandwerk," an das Gelehrtendasein im Anfang des Jahrhunderts. Und so war auch der Mann; von schlichten, aber gewählten Umgangsfvrmen, seines Wertes sich bewußt, aber nie darauf aus, Figur zu machen, im Gespräch mehr fein als glänzend. In der Berliner Gesellschaft viel neue Bekanntschaften zu machen, fühlte er sich uicht aufgelegt; er begnügte sich mit einem Stammtisch älterer Herren in der Nähe seiner Wohnung, von denen mancher, wie Julian Schmidt, ihm im Tode voranging. Freitags abends begrüßte ihn in einer Weinstube am Geudarmen- markt ein Kreis von baltischen Landsleuten, in Berlin angesiedelten und durchreisenden, als ihr ehrwürdiges Haupt. Voruehiulich aus Laudslenteu bestand auch das kleine Häufleiu, das den nach kurzer Krankheit dahingeschiedenen an dein schöneil Frühlingsmorgen des 26. März dieses Jahres zur letzten Ruhe geleitete.
Am Grabe eines verehrten Toten legt man sich unwillkürlich unter nuderu die Frage vor, ob seiu Leben glücklich gewesen sei. Nach dem Dichterworte:
Höchstes Glück der Erdenkiuder Ist doch die Persönlichkeit
ist Viktor Hehns Leben es sicher gewesen. Die Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts werden jedenfalls nach einer andern Fac-on glücklich sein. Eben der starke persönliche Hauch war es, der Hehns Büchern, über ihre großen objektiven Vorzüge hinaus, ihre Wirkung bereitete nnd noch lange bereiten wird, wenn andre mit gleichen objektiven Verzügen ausgestattete im großen Strome der litterarischen Vewcgnng unvermerkt untergetaucht seiu werden. Die Hervorkehrung seines Ichs hatte aber sehr bestimmte Grenzen. Niemals in seinen Schrifteu, auch wo er polemisch ist, redet er von seiner Person. Das geht bis zu der stilistischen Eigentümlichkeit, die Einführung eines Satzes mit „ich" konsequent zn vermeiden und dafür eine unpersönliche Umschreibiing vorzuziehen. Auch im Leben war er nach dieser Seite höchst zurückhaltend. So sprach er z. V. nie von der Episode seiner Verhaftung und Verbcmunug, uud wollte jemand die Rede darauf bringen, so wich er aus: der bloße Schein widerstrebte ihm, als könne er sich als Märtyrer interessant machen wollen. Aber rückhaltlos legte er sein Subjekt darein, wo es über Menschen und Dinge anßer ihm zu urteilen galt. Wir glauben manche Schwächen und viele Tugenden in Hehns Wesen in einein zu nennen, wenn wir sagen: er war ein echter Aristokrat. Er war es schon deshalb, weil er ein echter Balte war, aufgewachsen in einer in Kolon istenexistenz behcirreudeu Gesellschaft, die seit Jahrhunderten mit Herrcugefühl über einer inferioren Rasse lebte, und der cmch späterhin ihre Bezwinger etwas besseres als sie zu sei» anerkennend oder hassend