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Eine brennende Ohrfeige : aus Böhmen
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Jahre war Graf Leo Thun, ein Hauptförderer des Tschechentnms, kamn seines Lebens sicher. Dann kam Windischgrätz mit seinen Bomben, kam der Belagernngszustand,das Volk" vergaß, daß es schon einen Bierbrauer zum König von Böhmen gekürt hatte, der Bürger schämte sich seines einstigen Lieb- üugclns mit den Russen, und das autokratische System fand keine willigeren Werkzeuge als tschechische Demokraten. An diese Thatsache lassen sich nusre lieben Lcmdsleute ungern erinnern, aber deren Gedenken ist noch in allen Ländern Österreichs lebendig; in Ungarn und Galizien hat man die tschechischen Germanisatoren," denen zum Teil so langes Leben verliehen ist, daß sie noch einmal Freiheitsapostel werden konnten, in den deutschen Ländern die Polizei­spitzel aller Grade noch nicht vergessen. Dieses Volk ist nur glücklich, wenn es eine starke Faust über sich fühlt; läßt der Druck uach, so wird es über­mütig, gewaltthätig, weiß nicht, was es will.

Anch wir haben uns in diesem Punkte früher getäuscht wer nicht? Wir hofften, die volle Gewährleistung ihrer Nationalität würde die Tschechen wieder zur Besinnung bringen, sie würden sich nach und nach wieder darein finden, friedlich neben und mit den Deutschen ihren Kohl zu pflanzen und ihr Gewerbe zu betreiben. Früher. Allein die Vertrauensseligkeit der Herren vom Prager Kasino und des von ihnen geleiteten Teiles der Deutschen in den ersten Monaten dieses Jahres haben wir nicht mehr begriffen. Auf die hochpolitischen Erwägungen, die bei den Führern unverkennbar im Spiele waren, kommen wir nachher. Genug, sie meinten, ihre Versöhnlichkeit auch durch große Opfer und durch Vertraueu beweisen zu müssen; sie feindeten wie ihre gefährlichsten Gegner diejenigen Deutschböhmen an, die nur wagten, zu bedauern, daß außer der tschechischen und der deutschen Kurie im Landtage anch noch eine Kurie der Großgrundbesitzer geschaffen werden solle, die dnrch ihr Veto jeden Beschluß vereiteln könne; sie gaben Rechte preis im Vertrauen auf die Billigkeit der Tschechen. Ein solcher Fall hat nun das Loch in die Pauke geschlagen. Im Landesschulrat soll die Gemeinde Prag durch einen Deutschen und einen Tschechen vertreten werden, und der Stadtrat sollte zu diesem Zwecke je drei Vorschlüge machen; in dieser Bestimmung erblickte Rieger eine Kränkung des Stadtrates, der gewiß stets loyal vorgehen werde, nnd auf diese Versicherung hin willigten die Deutschen darein, dieser Körperschaft das freie Wahlrecht zuzugestehen. Die Wahl ist zum erstenmale erfolgt, und der Stadtrat hat einen Schuldirektor deutscher Abstammung gewählt, der als Über­läufer sich der tiefsten Mißachtung der Deutschen erfreut. Rechtlich ist da­gegen nichts einzuwenden. Der Stadtrat hat nicht loyal gehandelt, aber das konnte auch keiu Unbefangener von ihm erwarten. Doch damit nicht zufrieden, bekannten die Prager Blätter offen, man habe den zu einem Thersitesruhm gelangten Herrn Heinrich gewählt, um die Deutschen zu höhnen, eins davon nannte die Wahleine brennende Ohrfeige" in das Antlitz der Deutschen.