Maßgebliches mii> Unmaßgebliches
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trinken. Hierbei hatte er die Beobachtung gemacht, daß in einzelnen weißglasirtcu Krugen der Biergeschmack dennoch verdorben wurde, während er in andern gewöhnlichen Krugen erhalten blieb. Jene hatten eine Bleiglasur, diese eine Kochsalzglasur, waren also bleifrei. Ebenso war bei Gläsern ein Unterschied des Geschmackes wahrzunehmen. Um der Sache auf den Grund zu kommen, füllte er einen Krug und ein Glas, nachdem beide eine Zeit lang im Keller gestanden hatten, direkt vom Lagerfasse, ließ sie im Dunkeln und Kalten am Lagerfasse stehen und kostete den Inhalt beider Trinkgefäße von fünf zu fünf Minuten. Bei dieser Versuchsanstellung sind also die Einflüsse des Lichts und der Wärme ausgeschlossen. Tritt ein Geschmacks- und Geruchsunterschied ein, so muß er von der Gefäßsubstanz verursacht sein. Schon nach fünf Minuten war der Unterschied bemerklich. Das Bier im Glase schmeckte scharf, dünn, leer, das Bier im Steinkruge süßlich, mild, zart und rund. Der Unterschied wuchs mit der Zeit.
Nnnmehr bezog der Verfasser aus den Bierstädten Wien, München, Frankfurt a. M., Dresden und Berlin alle erdenklichen Seidel, Tulpen, Gläser nnd Stangen, sechsundvierzig an der Zahl, nnd wiederholte den Versuch — jedesmal mit demselben Erfolge. Offenbar enthielten diese Gläser auch Bleiverbindungen. Einstündige Auskochung mit vierprozentigem bleifreiem Essig ergab, wenn der Essig mit Schwefelwasserstoff behandelt wurde, Bräunung durch freiwerdendes Blei. Die Menge des im Glase enthaltenen Bleies wurde durch langwierige Analysen festgestellt. Es befanden sich meist Mengen von 0,20 bis 0,80 Prozent darin, doch stieg die Menge in einzelnen Fällen bis 1 Prozent, 1,5 Prozent und 4,67 Prozent. Einzelne Berliner Gläser waren fast bleifrei. Ein völlig bleifreies Glas fand der Verfasser in seinem Laboratorium in Form, eines Kochbechers. Bier, das in diesem Kochbecher gestanden hatte, schlug an Geschmack alle andern Biere, die in Gläsern waren, während das Bier in dem Glase mit 4,57 Prozent Bleigehnlt nach zehn Minuten ungenießbar war. Es lag also am Bleigehalte des Glases. Das Bleisilikat des Glases wird von der stark kvhlensäurehaltigen Flüssigkeit aufgelöst und verdirbt das Bier.
Aber mich die Natron- und Kalksilikate werde», gelöst, was zur Folge hat, daß bleifreie Gläser das Bier im Geschmack und Gernch verschlechtern, wenn auch nicht in so hohem Maße. Um ganz sicher zu gehen, richtete der Verfasser abends Kostproben ein. Das Ergebnis war: jede der prüfenden Personen fand die Geschmacks- und Geruchsverschlechteruug des Bieres durch das bleihaltige uud durch das bleifreie Glas sofort heraus und gewann die Überzeugung: Bier im Glase ist nichts andres als Bier auf dem Sterbebette.
Um zu wägbaren Mengen zu gelangen, ließ der Verfasser zwölf Gläser fünfzehn Tage in Bier liegen und prüfte nach dieser Zeit den Gewichtsverlust. Denn offenbar muß das Glas au Gewicht verlieren, wenn es an das Bier Stoff abgicbt. Der Verlust betrug bis zu zehn, Milligramm. Und zwar hatten auch die bleifreien Gläser Stoff abgegeben. Dies ergiebt unter Reduktion der Glasoberfläche und der Zeit von fünfzehn Tagen auf fünf Minuten 6 bis 26 Zehnmillionstel Milligramm Glassübstnuz mit 0 bis 48 Tausendmillivnstel Milligramm Bleioxyd in eiuem Kubikzentimeter Bier.
Hier tritt beim Leser der bekannte Zustaud der Paffigkeit ein. Taufeud- millionstel Milligramme find Mengen, vor denen sich selbst die Potenzen der Homöopathen verstecken können. Es steht mm dem Leser frei, sich zu tuenden, wohin er will. Er kann diese Zahlen als eine Bestätigung der Probe ansehen oder auch als den Beweis einer mißlungeilen Probe.