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Das Heidentum in der römischen Kirche
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?cis Heidentum in der römischen Kirche

katholische» Gebräuche nachzuspüren, ist nicht neu, aber wohl noch niemals mit solcher Gründlichkeit durchgeführt worden, wie von dem in den alten Klassikern sehr belesenen Verfasser, der mit seiner Arbeit einen wertvollen Beitrag zur Kultur- und Religionsgeschichte wie zur Ethnographie liefert. Aber gerade des­wegen, weil wir den Wert des Werkes anerkennen, möchten wir einige Aus­stellungen daran machen.

Zunächst scheint uns Trede mit einigen seiner Ableitungen nicht das Richtige zu treffen. Er meint, die römische Kirche stütze ihren Schutzengel- glanben, der dem heidnischen Genienkultus entspreche, ausschließlich auf das apokryphe Buch Tobias; er wundert sich förmlich darüber, daß die poetische Figur des Engels Rafael nicht allein für ein wirkliches Wesen gehalten werde, sondern nnch noch unzählige Gefährten erhalten habe, indem die römische Lehre jedem einzelnen Menschen seinen besondern Schutzgeist zuweise; uud er zitirt zum Beweise für die letztere Thatsache ein Gebet, das Silvio Pellieo in seinem Gefängnis auf dem Spielberge verfaßt hat. Aber das konute ja Trede iu jedem römisch-katholischen Katechismus finden; uud dort Hütte er zugleich ge­sehen, daß die römische Theologie sich in diesem Punkte keineswegs bloß ans das Buch Tobias, sondern auch auf Matthäus 18, 10 und 26, 53 stützt, abgesehen vvu den vielen andern neutestamentlicheu Stellen (eine führt Trede selbst an), wo die Engel als wirkliche Wesen und hilfreiche Menschenfreunde erscheinen. Die moderne Bibelkritik behandelt nun allerdings alle Engel- nnd Wundergeschichten des Neuen Testaments als Mythen, uud läßt vom ganzen Neuen Testament nur die vier ersten der paulinischen Briefe als echt gelten. Aber auf diesem Wege ist bekanntlich David Strauß dahin gelangt, daß er die Frage:Sind wir noch Christen?" für sich und seine protestantischen Freunde nicht weniger entschieden verneinte, wie sie Trede für die katholischen Bewohner Campaniens verneint. Deshalb ist die Scheu christlich gesinnter Männer vor diesem kritischen Wege gerechtfertigt, und eine Polemik, die anfs neue in diesen Weg hineintreibt, sehr unvorsichtig. Die evangelische Kirche wird es nach wie vor umgekehrt halten wie die katholische; sie wird immer auf die lehr­haften Bestandteile des Nenen Testaments größeres Gewicht legen als ans die Wunder- nnd Engelgeschichten, aber wenn diese Geschichten zu polemischen Zwecken geradezu als ein Stück Heidentum bezeichnet werden, so geschieht ihr damit kein Gefallen.

Unter der ÜberschriftOlympischer Wohlgeruch" berichtet Trede über den Kultus des Franziskancrprovinzials Giuseppe di Copertino, dem nach der Legende die Gabe des Fliegens zu Teil geworden war, und dessen Leib einen wunderbaren Wohlgeruch ausströmte. Daß dieser Wohlgeruch in den helle­nischen Gedankenkreis paßt, ist richtig; aber die Vorliebe für Wohlgerüche ist doch nicht ans die Hellenen beschränkt, vielmehr teilen sie so ziemlich alle Menschen, mit Ausnahme der deutschen Tabakraucher, nnd wenn einmal von