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suchte, brach der gesunde Vvlkshumor doch immer wieder durch und überschlug sich zuweilen selbst in die unglaublichsten Gotteslästerungen.
Vvlkshumor — ob wir heutzutage uicht auf dem besten Wege sind, dieses Gnadengeschenk des Himmels, dieses Linderungsmittel aller Schmerzen gründlich auszurotten? Man liest in allen Litteraturgeschichten, es sei ein unzweifelhaftes Verdienst Gottscheds, den Hanswurst von der Bühne Verbanut zu haben; wir halten diese Heldenthat für eine der thörichtsten Handlungen, die jemals ein pedantischer, verbohrter Schulfuchs ausgeführt hat. Sie zeigt ein so geringes Verständnis für die geschichtliche Entwicklung unsrer Bühne, eine solche Unkenntnis des volkstümlichen Geistes, seiner Neigungen und Bedürfnisse, daß wir in dieser That Gottscheds nicht das geringste Verdienst zu erkennen vermögen.
Spielte der Hanswurst auf der Volksbühne jener Zeit wirklich eine zu große Rolle, so hätte man ihn in die gehörigen Grenzen zurückweisen müssen; ihn aber völlig verbannen, hieß dem Volke ein gut Teil seines ursprünglichen Humors raubeu. Die blinde Verehrung des Franzvsentums und die darauf folgende gespreizte Vornehmthuerei mit der sklavischen Nachahmung der Alten hat das deutsche Volk, d. h. die untern Schichten, von dem geistigen Mitleben mit unsrer Litteratur immer mehr ausgeschlossen. Mit einem Walter von der Vvgelweide, mit einem Hans Sachs, einem Gellert lebte es — was aber ist unserm Volke, d. h. dem gemeinen Manne, Hekuba? Was ist ihm nnsre ganze klassische Dichtung mit dem mythologischen Apparat der Alten? Ohne gelehrte Bildung ist sie überhaupt uicht mehr zu verstehen, und wenn z. B. die Räuber oder Götz von Berlichingen auch heutzutage auf den Ungebildeten einen unauslöschlichen Eindruck ausüben, so geschieht das nur, weil sich darin etwas von dem unverwüstlichen Geiste eines Hans Sachs vorfindet. Aber diese Thatsache lehrt uns auch, wo mau mit den Reformbestrebungen unsrer Tage einzusetzen hat.
Wer gegenwärtig nur Humanismus lehren, Sitten predigen und die Ergebnisse der Wissenschaft verkünden will, wird wenig Hörer finden. Die Bildungsvereine mit ihren Vortrügen liefern dafür den besten Beleg. Der svgenanute Gebildete geht nicht hin, weil er schon alles in der Schule „gehabt hat" oder weil er dem Skatspiel mehr Interesse abgewinnt. Der Ungebildete geht nicht hin, weil er von dem ganzen Brimborium nichts versteht. Und so müht sich denn der ideal augehauchte Reduer ab, vor einer Gesellschaft von Handlungslehrlingen seine philosophischen, naturwissenschaftlichen oder litterarischen Probleme zu entwickeln. Ich frage, was hat das Volk vvn diesem Vilduugsschwiudel, vou dieser Schaumschlägerei mit gelehrten Phrasen, von diesem Sammelsurium abgeschlossener Gedanken und fertiger Urteile? Es ist viel leichter, Kaviar und Austern zn würdigen, Weinsorten zu unterscheiden lind den Wert von Zigarre» abzuschätzen, als die Werke der Denker nud Dichter