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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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taufende ist die genaueste Kenntnis des Ringens zwischen den Überlieferungen des Rechtsstaates und den ans andern Lebensgebieten hereindriugenden Anschauungen, ist das Verständnis für die Kämpfe, unter deneu der nativnale Gedanke seine Ver­körperung gewann, unerläßlich, Hunderttansende bedürfen klarer Einsicht in die nächste Vergangenheit und haben alle Ursache, sich mit dein zu befasse», was der Philosophunwichtig" nennen mag, Hunderttansende wollen für die politischen Aufgaben der nächsten Zukunft belehrt, gestärkt, ermutigt und erhoben sein. Was sollen solchen Thatsachen gegenüber die Prophezeiungen von einem philosophischen tausendjährigen Reiche!

Doch wie gesagt, es ist heute uicht unsers Amtes, das historische und Politische Verdienst des Treitschtischen Werkes hier zn vertreten, sondern wir haben es mit der Ver­teidigung zu thun, mit der Nerrlich den Urteilen über und Angriffen Treitschtes Wider die jungdeutschen" Schriftsteller entgegentritt. Und hier sind es nicht Einzelheiten, die wir bekämpfen, Einzelurteile, denen wir Wohl hie und da zustimmen könnten, sondern der Grundton der Schrift, die Wiederbelebung des alten Sophismus, nach dem es ge­radezu unmöglich ist, sei es vom historisch-politischeu, sei es vom ästhetische» Stand­punkt aus ei» Urteil über die Mängel nnd Unzulänglichkeiten der Schriftsteller des jnngen Deutschlands überhaupt abzugeben. Der Sophismus besteht darin, daß, sobald mau von der unzureichenden Gestaltungskraft, der «»künstlerischen Mischung poetischer »ud abstrakter Elemente, der geistreich sein wollenden Willkür in den angeb­lichen Dichtungen der Jungdentschen spricht, man belehrt wird, daß diese Schriftsteller von: politischen Zug und Drang der Zeit erfüllt gewesen seien, daß sie wesentlich als Publizisten angesehen werden müßten, sobald aber damit Ernst gemacht und der Maßstab angelegt wird, den man an politische Erwecker nnd Lehrer des Volkes legen muß, sozeigt sich sonnenklar, daß derartiges nicht vor das Formn der Moral, sondern lediglich der Ästhetik gehört." Die Doppelnntnr Heinrich Heines, der ein echter Dichter und ein poetisirender Tendenzschriftsteller zugleich war, die jeder eingehenden und vollends der lakonischen Beurteilung Schwierigkeiten ver­ursacht, soll nach der Forderung aller Verteidiger Jungdeutschlands nnd anch des neuesten alle» den Zwitternatnren vom Schlage Mundts und Wienbargs zu gute komme». Ein- für allemal sollen die Forderungen, die der Ästhetiker an den Dichter stellen darf, ja muß, für die Juugdeutschen mit der einfachen Versicherung beseitigt werden, daß sie Besseres zu thun gehabt hätten, als den: einseitigen Kultus des Schönen zu huldige«. Nimmt man aber die Lobpreiser dieser Richtung beim Wort, räumt man ein, daß das Verdienst der jungdentschen Schriftsteller in der Erweckimg politischen Sinnes, in der Vorbereitung politischer Thatkraft gelegen habe, ja gefleht man überdies uoch zu, daß die trostlosen Zensurverhältnisse im damaligen Deutsch­land auch eiue ernste nnd tüchtige publizistische Kraft haben nötigen können, sich in den Mantel des Belletristen zu hüllen, so ertönt wiederum ein Jammergeschrei über die ungerechte Herabsetzung verdienter Dramatiker nnd Romanschriftsteller. Gntzkow zum Beispiel hat sein Leben hindurch iu Vor- und Nachworten das kurze Gedächtnis wie den schwarzen Undank derer beklagt, die die Stimmungen und die Leiden der dreißiger Jahre in seinen Erfindungeu und Gestalten nicht fühlten, er­kannte» nnd würdigten, um dann doch jeden, der in billiger Erwägung der Zeit- einslüsse die poetischen Mängel entschuldige» wollte, als einen Verkleinerer nnd Läslerer seines poetischen Genius anzuklagen. Wenn wir die Schrift Nerrlichs lesen, so beschleicht uns die Besorgnis, daß wir, dank uuserm Parteiwesen, aus dieser unerträglichen Unklarheit und Zweidentigkeit noch lange nicht herauskommen werden.