Beitrag 
Der gegenwärtige Stand der deutschen Kolonialbewegung
Seite
515
Einzelbild herunterladen
 

Der gegenwärtige ^tand der deutschen Kolonial­bewegung

von Harry Denicke

ie deutsche Kolonialpolitik leidet vielleicht mehr als jeder andre Zweig der Reichspolitik, die Sozialpolitik nicht ausgeschlossen, an Unfertigkeit. Es giebt da uoch hundert und aber hundert Fragen von größerer und geringerer Wichtigkeit zu lösen. Auf der andern Seite aber hat sie doch auch schon eine Reihe unantast­barer Thatsachen geschaffen. Die wichtigste ist, daß wir in den Besitz von fünf überseeischen Gebieten gekommen sind, die eine Gesamtfläche von etwa 50000 Quadratmeilen ausmachend Als weitere Thatsache, die endlich auch ihren maßgebenden parlamentarischen Ausdruck gefunden hat, verzeichnen wir, daß sich die überwiegende Mehrheit der Nation trotz aller hämischen Einreden und trotz mancher unerwünschten Zwischenfälle dieses nenen Besitzes freut, weil sie von seiner künftigen Ertragsfähigkeit und anderseits von der Dringlichkeit unsers Kolonialbedürfnisfes überzeugt ist und zugleich die mamnch faltigen Segnungen zu würdigen weiß, die nach den Erfahrungen älterer Kolonialvölker, ja wie wir hinzusetzen dürfen, schon nach unsern eignen Erfahrungen eine wirksame überseeische Bethätigung nationaler Kraft tüchtigen Völkern zu ge­wahren Pflegt. Es war durchaus berechtigt und erfreulich, daß der gegen­wärtige Leiter unsrer Neichspolitik in seiner ersten öffentlichen Auslastung über Kolonialfrageu, so viel Zurückhaltung er sich auch aus Gründen parla­mentarischer Taktik auferlegte, dennoch diesennationalethischen" Gesichtspunkt gebührend betonte. Gleichwohl bleiben unsre Kolonialaussichten vor der Hand immer noch mehr oder weniger eine Glaubenssache. Es ist leicht, einem Zweifler die glänzenden Ertrügnisse englischer oder holländischer Kolonien, besonders aus früherer Zeit, vorzuhalten, aber man ist zunächst nicht in der Lage, durch zwingende Beweise den EinWurf der Unvergleichbarkeit mit unsern deutschen Schutzgebieten völlig zu entkräften, und zwar weder hinsichtlich ihrer Bodenfruchtbarkeit noch hin­sichtlich der Arbeits- und Kaufkraft ihrer Eingebornen. Dieser Anzweiflung unsrer kolonialen Zukunft haben sich denn auch, weniger ihren Grundsätzen als ihrem ganzen Naturell gemäß, zwei größere Parteien, die deutschsreisinnige und die sozial- demokratische, zugewandt, denen, wie bei so mancher andern Gelegenheit, aus den