Aus der Stadt des Reichskammevgerichts
Es muß ein wunderbarer Gegensatz gewesen sei», als sich das hohe Gericht mit dem ganzen äußeren Pomp und Gepränge seiner Würde durch die schmutzigen und engen Gassen der Stadt bewegte und vor der Kammer, d, h. dein Gebünde des Kammergerichts, anfsuhr: Läufer und andre Bediente des Kammerrichters eröffnen den Zug, dann kommen die Unterbeamten des Gerichtes, Schreiber n. dergl., zu Fuß, ihnen folgen zu Wagen die Reichs- kaminergerichtsbeisitzer, d. h. die ordentlichen Mitglieder des Gerichtshofs, und endlich crschciut der Kanunerrichter in hoher Person, iu einem sechsspännigen Wagen, umgeben von Edelknaben und Heiducken; die Assessoren lassen ihre Bedienten gleichfalls voraugehn. Düster hebt sich die schwarze spanische Mnntel- tracht der richterlichen Beamten von den farbigen Gewäuderu der Dienerschaft und dem schlichten Bürgerkleid ab, als ein Merkzeichen, daß eine breite Kluft die hochgeborenen Richter von den übrigen trennt. Gehörten doch die Gcrichts- »ütglieder fast ohne Ausnahme dem Adel an, der sich in damaliger Zeit noch ganz anders als besonderen hervorgehobenen Stand fühlte als jetzt. Zwar bestand der Grundsatz, daß auch „die der Rechten gewürdigten," d. h. rechtsgelehrten Bürgerlichen zu Assessoren erhoben werden konnten, aber thatsächlich kommen wenig bürgerliche Namen in der Geschichte des Reichskammergerichts vor.
Der Kammerrichter, d. h. der Vorsteher des gesamten Gerichts, mußte unmittelbar von hohem, reichsunmittelbarem Adel sein, ebenso seine beiden Stellvertreter, die Kammergerichtspräsidenten; dies deshalb, weil über die Fürsten und Fürstenmüßigen des Reiches nur Ebenbürtige zu Gericht sitzen konnten. Wurde eiue solche Sache verhandelt, so führte der Kannnerrichter oder ein Präsident den Vorsitz, neben ihm saßen vier Assessoren, während sonst auch ein Assessor Präsidiren konnte nnd nur zwei Beisitzer erforderlich waren.
Nach der Neichskammergerichtsordnnng vom Jahre 1495 sollten im ganzen vierundzwanzig Beisitzer angestellt werden; man begnügte sich aber mit zwöls, da die Mittel nicht aufgebracht werden konnten. Schon damals zeigte sich der Mangel, den Goethe den ersten und ewigen Grundfehler des Neichskammer- gerichts nannte: die Geldnot; sie wurde die Quelle aller übrigen Übel nnd Miszbräuche. Im westfälischen Frieden hatte man zwar die Zahl der Assessoren auf fünfzig erhöht, aber diese blieb gleichfalls auf dem Papier, man mußte sie 1720 wegen des säumigen Eingangs der „Kammerzieler," d. h. der Matriknlar- beiträge der Reichsstände, wieder auf fünfundzwanzig herabsetzen.
Die Erneunnng des Kammerrichters und der beiden Präsideuten erfolgte durch den Kaiser, die Assessoren wurden durch die Neichsstünde dem Kammergericht präsentirt. Präsentanten waren der Kaiser, alle Knrsürsten und alle Kreise, außer dem kurrheiuischeu. Wie der ganze Geschäftsgang am Reichskammergericht, so war auch das Verfahren bei der Kooptation eines Beisitzers lehr weitläufig: mit dem Präsentationsschreiben versehen, begab sich der Kandidat, meist schon ein älterer Mann von Rang, an den Sitz des Reichskanuner-