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Aus der Stadt des Reichskammergerichts
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Schweinen verbundener übler Geruch; vor den Häusern lägen die Misthaufen, sodaß kaum ein Wagen vorüberfahren könne.

Kein Wunder, daß des heiligen römischen Reiches Kammcrgericht sich schwer entschloß, sein dauerndes Heim in den Mauern der guten Reichsstadt aufzuschlagen. Es geschah iu der That nur der Not gehorchend, nicht dein eignen Triebe.

Seit dem Jahre 1527 hatte das höchste Gericht des deutschen Reiches in Speier getagt, war aber von dort durch den Eroberungszug Melaes, der die schönsten Städte der Pfalz in ranchende Trümmerhaufen verwandelt hatte, im Jahre 1689 vertrieben worden. Das Gericht war nun obdachlos, nnd man mußte das Schauspiel erleben, daß sich fast alle Reichsstädte, die man um Aufnahme ersuchte, weigerten, dem Reichskammergericht Gastfreundschaft zu gewähren. So hatten Frankfurt a. M, Schweinfnrt, Memmingen, Augs­burg it. a. mit Beharrlichkeit die Aufnahme verweigert, ja Frankfurt ging so weit, daß es den Mitgliedern des Gerichts den Aufenthalt nnr ans kurze Zeit nnd gegen Schein gestattete. Erst einem Reichsschluß, der die provisorische Abhaltung der Sitzungen in Frankfurt anordnete, beugte sich die stolze Stadt. Mnu muß sich wundern, daß sich noch Männer fanden, die trotz solcher Demütigungen in ihrer einmal übernommenen Pflicht auszuharren bereit wareu. Ein erfreuliches Bild deutscher Ausdauer und Gewissenhaftigkeit! Schade, daß dieses würdige Geschlecht so bald ansstarb, und daß bei den nächsten Ge­schlechtern Mißbräuche hervortraten, die einen trüben Schatten auf die ganze Geschichte des Neichskammergerichts werfen.

Nur zwei Reichsstädte erklärtem sich zur Aufnahme bereit, Wetzlar nnd Friedberg (in Hessen). Beiden schien das Neichskammergcricht eine vortreffliche Gelegenheit zu bieteu, den verarmenden Bürgern uenc Erwerbsauellen zu schaffen. Das Gericht sandte daher fünf seiner Mitglieder nach Wetzlar, um die Stadt in Augenschein zn nehmen. Der Bericht, den diese Abordnung erstattete, faßte das Ergebnis der Untersuchung in die Worte zusammen, die Stadt sei zwar eine Reichsstadt, aber so ganz unansehnlich, daß das Kammer­gericht ohne eine Verminderung der ihm gebührenden Würde, selbst ohne Nachteil der Hoheit des heiligen römischen Reiches darinnen nicht wohnen könne.

Der Rat der Stadt, der von dem ungünstigen Bericht gehört hatte, ver­sprach Abstellung aller Mängel, und so entschloß sich das Gericht, nach vier- bis fünfmonatlichem Zögern, Wetzlar zn seinem Sitz zu erwählen. Das Gericht hat dann nacheinander drei Gebände in der Stadt innegehabt; seine erste Sitzung hielt es am 30. Januar 1690 im alten Rathaus ab, das der Rat fürs erste zu diesem Zweck eingeräumt hatte. AlsAudieuzsaal" wurde der im Rathause befindliche Tanzboden benutzt, worin die Geschlechter der Stadt nach inittelalterlichcm Brauch vordem ihre Festlichkeiten, insbesondere ihre Hochzeiten gefeiert hatten.