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Tendenzromane
Lichte, das durch seine sittliche Stellungnahme zu ihnen mehr oder weniger bewußt in ihm erzeugt wurden ist. Man fordert Individualität vom Dichter; das ist nichts andres als eine wohl abgeschlossene, ganz genan bestimmte Weltanschauung, mag sie so subjektiv seiu, als sie will.
Dies mir beiläufig, wir müssen endlich auf unsre beiden Teudeuzrvmcme kommen, auf die „Lebensgeschichte" in zwei Bänden: Die Waffen nieder! von Bertha von Suttner (Dresden, Pierson) und den Roman: Or!i et ig-dorn.! von Friedrich Voettcher (Leipzig, Ernst Keils Nachfolger). Die Imperativische Form im Titel beider Werke — habt Acht! — verrät schon ihre polemische Haltung. Sie sind aber beide gründlich verschieden, hinsichtlich des Charakters ihrer Verfasser, in der Bedeutung ihrer Absichten, und endlich auch nach dem künstlerischen Werte der Darstellung. Große Dichtungen sind es beide nicht, das wollen wir gleich sagen, aber interessante Zeiterscheinnngen, die eine genauere Betrachtung rechtfertigen.
Fran von Suttner schreibt ihr dickes Buch gegen den Krieg, uud damit schließt sie sich einer großen Reihe von Vvrgüngern an und trifft in der ganzen zivilisirten Welt, mit Ausnahme vielleicht der nach Revanche schreienden Chauvinisten in Paris, empfängliches Gehör. Nach Friede» hat ganz Europa ein tiefes Bedürfnis; nichts hat die Volkstümlichkeit Bismarcks fv sehr gefördert, als daß er der Schutzherr des europäischen Friedens geworden ist. Wir hassen alle den Krieg, alle ohne Ausnahme, vom Kaiser herab bis zum ärmsten Bauer. Daran ist gnr kein Zweifel: daß heutzutage noch ein Kabinets- krieg oder ein Krieg aus leichtfertige» Gründen entstehen sollte, ist ganz undenkbar. Das ist ja der Charakter unsers Zeitalters, daß sich in allen Schichten der Bevölkerung nicht bloß Deutschlands, sondern auch Österreichs, Italiens das vollste Vertrauen aus den reinsten Willen der Regierungen eingewurzelt hat, lind wenn Zwistigkeiten, Parteinngen entstehen, so geschieht dies nur infolge der Verschiedenheit der Meinungen über die Wahl der Mittel zur Förderung des Vvlkswvhles, nicht aber infolge des Zweifels an dem reinen Wille» der Staatenlenker selbst. Die Stimmung der Zeit ist also durchaus friedlich, nnd jede Polemik gegen den Krieg erscheint beinahe überflüssig. Die Suttner rennt eigentlich offene Thüren ein. Doch daraus wollen wir ihr keinen Vvrwnrf machen. Unser heutiges Geschlecht genießt eines Friedens, der mit schweren Opfern au Gut und Vlnt erkämpft worden ist und noch immer mit großen Opfern an Gut und Kraft erhalten wird. Der kriegerische Geist ist in Europa noch keineswegs erloschen. Über die Notwendigkeit und den Wert der Kriege herrschen noch immer geteilte Meinungen. Wir fühlen zwar, daß eine Zeit notwendig wird kommen müssen, lvo auch ernstere politische Gegensätze durch Schiedsgerichte, europäische Konferenzen so gut werde» beigelegt werde», wie man schon kleine politische Konflikte (z.B. die Karolinen- inselfmge) geschlichtet hat, »»d wie gegeuwärtig große soziale Frage» durch