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Bedenken über die Sprachverbesserung
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der über Sprachsünde» abzuurteilen hätte, würde nun allerdings sein, daß seine sämtlichen Mitglieder tüchtige Germanisten und gnte Stilisten wären.

Alles das betrifft doch aber nur, um mit dem Verfasser derSprach­dummheiten" zu reden, das Kleid der Sprache; wie will der Sprachverein an sie selbst heran, die doch nichts andres ist als die Offenbarung der Seele? Der Stil ist zwar nicht der Mensch, wie der affektirte Franzose sich ausdrückt, aber doch eine der unmittelbarsten Offenbarungen des Menschengeistes. Den Stil verbessern bedeutet nichts Geringeres, als die Menschen bessern. Kmm der Sprachverein alle Wirrköpfe in klare Denker, alle Flachkvpfe in scharfe Lvgiker, alle Hvhlköpfe in gedanken- uud kenntnisreiche Gelehrte, alle eitelu Zierbeugel in gediegene, tüchtige, schlichte Menschen, alle verlogenen Schufte in wahrheitsliebende, offene, gerade Charaktere umwandeln? Kann er jenen Holzklötzen, bei denen nicht einmal die nnterste Küchenmagd einer Grazie Pate gestanden hat, Schönheitssinn eintrichtern? Kann er allen lederneu Philister­seelen die heilige Glut edler Leidenschaften eingießen und obendrein dafür sorgen, daß diese Glut dem Prediger jeden Sonntag früh neun Uhr, dem Redakteur, so oft ein patriotischer Leitartikel fällig ist, und dem Nvmanschreiber zur Ver­fügung stehe, wenn seine Kasse zur Neige geht? Kann das der Verein, dann werden im zwanzigsten Jahrhundert alle deutschen Druckschriften durch lessingische Klarheit, goethische Fülle, schillerisches Pathos und platenähnliche Formgewandt­heit entzücken.

Und was das schlimmste ist, unsre verzwickten Lebensverhältnisse zwingen den Schreiber gar häufig, sich dümmer und schlechter zn stellen, als er in Wirklichkeit ist. lim von hnnderten nur eins anzuführen: Tallehrauds elegante Kunst, die Gedanken zn verhüllen, ist der plumpen Fertigkeit eines Palmerstou gewichen, indiskrete Frager mit einem Schwulst nichtssagender Redensarten abzu­speisen. Diese Fertigkeit haben sich seitdem außer deu Diplomaten auch die Zeitungs­schreiber angeeignet, denn sie kommen sehr häufig in Lagen, wo sie mit der vollen Wahrheit nicht Heransrücken dürfen, während sie doch auch nicht geradezu lügen wollen, oder wo sie über Dinge Ansknnst geben müssen, von denen sie selbst nichts wissen nnd verstehen. Und so finden wir denn täglich in den ZeitungenDementis" und Mitteilungenvon gnt unterrichteter Seite," deren Kern, wenn man ihn aus all deu wenn, aber, obgleich und indem herans- gewiclelt hat, auf ein Haar der alten Wetterregel gleicht: Wenn der Hahn kräht ans dein Mist, ändert sichs Wetter oder es bleibt wie es ist. In älterer Zeit scheint der Galimathias die Advvkatenspezialitnt gewesen zu sein, wie man ans dem köstlichen Glvckenprvzeß in Nabelais Gargantna schließen kann.

lind die Zeit, die nns zum Schreiben zugemessen ist, nnd die Umstände, nuter denen wir schreiben! Ja, wenn wirs so bequem hätten wie der gute Lahamvu, ein angelsächsischer Chronist, der uns sein Verfahren folgendermaßen