Contribution 
Das Nationalgefühl
Page
14
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 

14

Das Nationalgefühl

und Zeugnissen über ihu studiren kann, da bricht dieser beste Deutsche iu die Klage aus:Ich könnte weinen; es ist, als vb ein böser Geist meinen Himmel verdorben Hütte. Ich wollte so gern einmal einen wahrhaft großen Mann rein verehren; das kann ich nun hier nicht." Und neben Seume, dem leben­digen Genossen der Zeit, steht dann, denselben Jndividnnlismus verdeutlichend, eine wunderbar gezeichnete poetische Figur: tiefer und wahrer ist wohl nie das damalige Deutschtum zusammengefaßt worden, als durch den größten der Deutschen selbst, als in Wilhelm Meister, dem dichterisch geschaffenen Einzel­manne, der ohne Familie und ohne Vaterland nur die Entwicklung seiner menschlichen Persönlichkeit in idealer Freiheit erfährt.

Aber man trat auch dann dem staatlichen Leben zunächst noch nicht näher, als sich in der Litteratur und bis zu einem gewissen Grade in der Geistes­welt überhaupt teilweise jeuer Umschwung vollzog, der sich an den Namen der romantischen Schule knüpft. Freilich hatte sich jetzt die Freude am Deutschtum völlig durchgerungen; so weit auch der Geist von Tieck und Schlegel schweifen mochte in alle Fernen iudogermauischer Dichtung und Kultur, sie kehrten doch immer wieder von da mit neuen Schätzen auf den nationalen Boden zn Brentano und Arnim znrück. In der Hauptsache blieb durch alle Zeit der Romantik in ihr das bestimmend, was so sehr schon auf ihre Entstehung einge­wirkt hatte: der Sinn, der aus den Gesäugen vou der Hermanusschlacht, der aus Goethes Götz von Berlichingen und auch schon aus dem Faustfrngment seine Nahrung zog: ich meine die enge Verbindung ausschließlich mit der deutschen Vergaugeuheit. Die frische Morgenluft deutscheu Weseus, vou der Achim von Arnim sang, sie wehte aus der Vergangenheit her; deutsch und mittelalterlich wareu in einander verschwimmeude Begriffe. Wo die Burgen und die grauen Städte der Geschichte winkten, nur da kouute die Nomantik ihre Auknüpfuug finden; gerade dnrch sie, erst durch ihre Vermittlung fand sie das sehnsuchtsvolle Eindriugen in die Natur, iu die Poesie der Wander­straße nud der Flußfahrt, iu die farbige Schönheit von Thal und Berg, nnd Heidelberg ward eine ihrer geliebtesten Residenzen, bezeichnenderweise gerade die Stadt, die der Fürstensitz vergangner Zeiten in einem von der neuen Zeit hinweggefegten Staate war. Die Romantiker selbst haben nicht unmittelbar an der Erwecknng moderner nationaler Gedanken mitgeschaffen, aber aus ihrem Dichten und Thun ist darum doch reichliche Förderuug des spätern deutscheu Natioualgefühls hervorgegangen; sie hatten eben gezeigt, daß weit znrück hinter dein franzosisirenden Zeitraume des siebzehnten und acht­zehnten Jahrhunderts eine ungeahnte große Welt deutscheu Lebens, eignen Geistes und eigner Gesittung ruhe und schlununre, sie hatten ferner den im wirklichen Siuue romantisch-historischen Fluß, den Rhein und gerade in der Zeit, wo der Rheiu geschichtlich am weuigsten dem Vaterlande angehörte, in glücklicher politischer Achtlosigkeit zum deutschen Strome vor allen, zum