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Eine deutsche Geschichte aus dem neuen Reiche
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1, die Neichsl'ildungen auf germanisch-römischer Grundlage 47lZ bis 1273, eine Perivde, deren Schluß, nachdem nnter Barbarossa nnd Heinrichs VI. das Ziel der Herstellung einer lebensfähigen einheitlichen Reichsverfassung nahe vor die Erfüllung geruckt schien, mit dem Untergänge der Hvhenstanfen zugleich den Untergang der alte» Verfassung nnd der bereits vvrhandnen Keime znr Einheit besiegelte; 2. die Auflösung des römisch-deutschen Kaisertums und die Entstehung des deutschen Bnndesreiches 1273 bis 1871. In dieser vom Standpunkte der Gegenwart nnd nur diese ist hierin für uns maßgebend richtigen und streng durchgeführten Gliederung finde ich einen auffallenden Fortschritt. Es ist keine Frage, daß dadurch die Reformation äußerlich aus ihrer führenden Stellung am Beginne der sogenannten nenern Zeit einiger­maßen zurückgedrängt wird, aber sie wird dadurch uur um so fester und inniger als ein notwendiges und bestimmendes Glied in die Kette der nationalen Ent­wicklung hineingeschlossen uud demgemäß auch von Kaemmel mit besondrer Liebe dargestellt. Selbständig und feinsinnig sind die Unterabteilungen der Hauptzeiträume bestimmt nnd wiedernm übersichtlich gegliedert bis herab zu den kleinsten, oft nnr seitenlangen Abschnitten, die einen Begriff oder Eigen­namen am Kopfe tragen. Bei dieser so weitgehenden Gliederung bednrfte es einer besondern Kunst, die einzelnen Teile nicht anseinanderfallen zu lassen; sie stehen aber zusammen in einer innern natürlichen Ordnung, und auch die größern Abschnitte schließen sich natürlich an einander, alle im Dienste des Hauptgedankens. So kommt es, daß auch iu deu Abschnitten über Kultnr- und Geistesleben, z. B. über Philosophie, geschichtliche Wissenschaften, Univer­sitäten und Schulen, Goethes Alter, Dichtung, Baukunst, Bildnerei, Musik, Grundlagen des wirtschaftlichen Aufschwungs, Verkehr, überseeischen Handel, Gewerbfleiß, Landwirtschaft, Wohlstand nnd Bevölkerung n. s. w., die in die Darstellung der vierziger Jahre unsers Jahrhunderts eingewebt sind, überall die Fädeu bloßgelegt sind, durch die alle diese Diuge von den äußern und innern Schicksalen des Volkes abhängig sind. Dieselbe enge Verflechtung der Staats- und Kultnrentwicklung zeigt sich z. B. auch bei der Darstellung der Wiedergeburt Preußens nach 1806 und des deutschen Geisteslebens vor der Napolconischen Fremdherrschaft, der dentschen Kultur beim Tode Heinrichs VI. u. s. w. So findet sich überall bei durchsichtigster Gliederung des Stoffes doch die straffste Konzentration, das ganze Werk erscheint wie aus einem Gusse.

Nicht minder deutlich tritt des Verfassers Selbständigkeit in der Auffassung großer politischer Ziele und großer Persönlichkeiten hervor, obwohl er sich gerade ans diesem Gebiete dankbar als der Schüler von K. W. Nitzsch bekennt. Unbeirrt dnrch Schulüberlieferung uud alte Vorurteile übersieht er das Ganze uud weist jeder Regung dentschen Lebens, jeder Persönlichkeit mit Sicherheit und Schärfe des Urteils den gebührenden Platz zu. Zu Anfang unsers Jahr- Grenzboten IV 18W 77