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Die bedingte Verurteilung
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Die bedingte Verurteilung

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bringen? Wir meinen: nicht zwiefachen Segen, sondern zwiefachen Fluch wird sie bringeil, sie schadet, wo nicht dein Empfänger der Gnade, so doch dem Staate, und sie schadet noch mehr dem Geber, dem Nichter.

Sie schadet nnter Umständen dem Empfänger der Gnade selbst: zunächst ist er natürlich voll Vergnügen über die bedingte Verurteilung oder Begnadigung, er wird sich Wohl auch vornehmen, er wolle sich drei Jahre lang wohl Verhalten; sind die drei Jahre verflossen, dann kann er es ja wieder darauf ankommen lassen, ein mäßiges Verbrechen zu begehen, vielleicht oder hoffentlich wird der Nichter dann wieder fo menschenfreundlich sein, ihnbedingt" zu verurteilen. Und selbst während der drei Jahre wird der Nutzen der neuen Einrichtung für ihn ein mäßiger sein; die meisten Vergehen werden nicht mit Vorbedacht, sondern unter dem Einfluß der Leidenschaft verübt, und wer im Zorn einem andern einen Schlag zu versetzen im Begriff ist, der wird nicht erst lange überlegen, ob er sich nicht durch den Schlag der Rechtswohlthat der bedingten Begnadigung verlustig mache.

Diese Art der Gnade schadet jedenfalls dem Staat; lassen wir noch einmal Porzia reden. Vassanio stellt an den Gerichtshof von Venedig das Verlangen:

Beugt einmal das Gesetz nach enerm Ansehn: Thut kleines Unrecht um ein großes Recht.

Und was antwortet Porzia?

Es darf nicht sein; kein Ausehn in Venedig

Vermag ein giltiges Gesetz zu ändern.

Es würde als ein Borgang augeführt.

Und mancher Fehltritt nach demselben Beispiel

l^riff' um sich in dem Staat: es kann nicht sein.

Es ist nicht anders: der Vorschlag mutet dem Richter zn, oder vielmehr er gestattet ihm,kleines Unrecht nm ein großes Recht zn thun," das Gesetz uicht anzuwenden um der Gerechtigkeit willen. Der Richter ist der Wächter des Rechtes, des positiven Rechtes, des Gesetzes, er soll das Gesetz im Geiste der Gerechtigkeit anwenden; allein wenn er einmal der Meinung ist, daß die Gerechtigkeit mit dem Gesetze nicht zusammenstimme, dauu ist es uicht seine Sache, das Gesetz der Gerechtigkeit zu opfern und dieser zuliebe ein kleines Unrecht zu begehen. Die Beiwörterklein" undgroß" sind am Platze neben den HauptwörternNutzen" undSchaden"; der Regent, der nn der Spitze der Verwaltuug des Staates steht, mag und muß prüfen, ob der Nutzen, der dein Staat daraus erwächst, wenn die Idee der Gerechtigkeit trinmphirt, im einzelnen Falle größer sei als der Schaden, den das Abweichen vom Gesetz stiftet. Aber übel angebracht sind jene Beiwörter beim Recht und Unrecht, für den Richter sollen die Begriffegroß" undklein" uicht vorhanden sein, durch ein kleines Unrecht, das er begeht, verletzt er seinen Richtereid gerade Grenzbvten IV 1M!> 5>>