Litteratur
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Viktor Hugo und Bismarck. In Nr. 27 der Grenzboten brachten wir eine Kritik des^Fiirst-Bismarck-Gedeiikbuches von Horst Kohl, die mich eines Briefes von Viktor Hugo cm Bismarck gedachte nnd starke Zweifel an der Echtheit dieses Briefes äußerte. Aus Weimar wird uns nun geschrieben: ,,Dies er Brief, den Kohl aus einer französischen Zeituug ins Deutsche übersetzt zu haben scheiut, ist deutschen Ursprungs und ist zuerst bei Gelegenheit von Bismarcks siebzigstem Gebnrtstng in der Weimarischcn Zeitung erschienen. Die Weimarische Zeitimg aber hatte ihn der — Bierzeitung einer lustigen Gesellschaft entlehnt! Nach dem Abdruck iu vieleu deutschen und französischen Zeitungen zu urteilen, scheint die Welt gründlich diipirt worden zn sein. Die Parodie ist ja mich ganz gelungen."
Litteratur
Die Bergpredigt. Roman aus der Gegenwart von Max Kretzer. Zwei Bände. Dresden und Leipzig, E. Piersons Verlag, 1890
Ein theologischer Roman oder besser ein Thevlogenroman. Die Gattung ist in katholischen Ländern schon vertreten! Ferdinand Fabre hat sie in Frankreich geschaffen, die Wienerin Emil Marriot hat anch Klerikernovellen geschrieben, gewiß ohne den Vorgänger Fabre zu kennen, dein sie au Wissenschaft natürlich nicht gleichkommt. Auch Jordan hat iu seinen „Sebalds" Theologen, und zwar protestantische, wie jetzt Kretzer, zn Melden gewählt, aber uicht als Realist, sondern nur um auf diesem Wege fein optiinistisch-umterialistisches Glaubensbekenntnis bequemer zugänglich zu macheu. Mit Jordan gemein hat Kretzer nur den scharfen Gegensatz gegen die Orthodoxen, gegen die Kreuzzeitungspartei, die die Religion gepachtet zu haben glaubt, sie von den Wechselbeziehungen zur Wissenschaft ausgeschlossen wisseu will uud rücksichtslos, auch sehr wenig wählerisch in der Wahl ihrer Mittel ist. Aber Kretzer begnügt sich, zum Unterschiede von den Abhandlungen in Jordans Romanen, mit kürzen, geschickt in die Handlung verwebtcu Darstellungen seines Christentums, das alle positiven Glaubenssätze über Bord wirft und sich mit der Verherrlichung, Durcharbeitung und Verbreitung des ausschließlich ethischen Gehaltes der Religion der Liebe beguügt. Wie Leo Tolstoi, an den seine Formel- „Widerstrebe nicht dem Übel" sehr lebhaft erinnert, hofft Kretzer von der Verwirklichung seiner christlichen Lehre auch eine leichtere Losung der sozialen Frage. Soviel von dem Gehalt der Kretzerscheu „Bergpredigt."
Ästhetisch betrachtet hat sie mehr Schwächen als Vorzüge. Sie ist ein Tendenzroman, gerichtet gegen Stöcker. der doch wohl im Hvfpredigcr Bock konterfeit sein soll, und gegen die'„innere Mission" Berlins, deren Wert Kretzer zwar grundsätzlich nicht gering schätzt, deren Vertreter und Agitatoren er aber als Tartüffes hinstellt. Die Tendenz wollen wir, nach den letzten politischen Ereignissen, gewiß nicht tadeln, aber sie entschädigt uns nicht für die poetische Schwäche der Nomnuhaudluug; deuu