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Zum bürgerlichen Gesetzbuch
aus den letzten Jahrzehnten eine Anzahl in ihrer Fassung geradezu muster- giltiger Gesetze haben, z. B. die deutsche Wechselordnung, das Handelsgesetzbuch, die Reichskvukursvrdnung, das preußische Eigentumserwerbgesetz vom 5. Mai 1872, die preußische Vormundschaftsordnung. Aber nicht bloß die eigentliche Sprache, d. h. die gewählten Wörter, giebt Anlaß zum Tadel, nein, die Verfasser des Entwurfs vergessen auch oft, daß sie Gesetzgeber sind, und ein Gesetz, um mit dem Bericht des Bundesratsansschusses für das Justizwesen vom 9. Juni 1874 zu reden, „seine Anfordernngeil in ihrer ursprünglichen, unmittelbaren, praktischen Form aufzustellen hat." Sie steigen öfters von dem hohen Standpunkte des Gesetzgebers herab, der ihnen die Befugnis gewährt, zu befehlen, und tauschen dafür den Platz des Lehrers eil?, der unterweist. Sie haben deshalb dem Entwurf zahlreiche lehrhafte Abstraktionen und Distiuktivnen einverleibt und lehrhafte Folgesätze gezogen, die nicht in ein Gesetzbuch gehören, sondern der Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen werden müssen. Eine derartige Vermischung von Gesetzgebung uud Wissenschaft hat noch nie Vorteil gebracht. Der Naum dieser Blätter gestattet es nicht, alle von dem Verfasser zur Begründung seiller Ansichten gegebenen Beispiele anzuführen, es mag genügeil, auf den höchst lehrreichen Inhalt der Schrift zn verweisen.
Gierte greift den Entwurf mit Rücksicht auf desseu materiellen Inhalt au. In einer lehrreichen geschichtlichen Begründung weist er nach, daß wir ein öffentliches Recht nötig habeil, das durch und durch Recht ist, das zwar die Pflichten gegen das Ganze voranstellt, aber zugleich den Gliedern Rechte an: Ganzen, dem Geringsten Anteil am Staate gewährt uud verbürgt, das von der Notwendigkeit nnd Stetigkeit des Gemeinlcbens ausgeht, aber doch die Freiheit in sich aufnimmt, daß wir aber auch ein Privatrecht brauchen, worin trotz aller Heilighaltung der unantastbaren Sphäre des Individuums der Gedanke der Gemeinschaft lebt und webt. Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, gelangt Gierte zu dem Ergebnis, daß der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs seine Aufgabe nicht erfüllt, da er zu sehr dem manchesterlichen Grundsatz des allgemeinen Gehenlassens hnldigt. Das Eigentum wird zu romauistisch-individualistisch nllfgefaßt. „Der Entwurf giebt die Chikcine frei. Die Motive erblicken in der Freiheit des Mißbrauchs gewissermaßen die Blüte der privatrechtlichen Befugnis; jn bei der Rechtfertigung des Fehleus einer gegen sinnlose oder lediglich lästige Testamentsauflagen gerichteten Vorschrift erwärmen sie sich sogar für das durch die Testirfreiheit verbürgte Unrecht des mit Vermögen gesegneten Individuums, noch nach dem Tode andre Leute zu chikaniren." Mit Hinweis ans die Bestimmnngen des preußischen allgemeinen Landrechts über das Verbot der Chikane, der Bestimmungen bezüglich des Bergwerks- eigentlims, des Erfinderrechts u. f. w. wird Abänderung des Entwurfs verlangt, uameiltlich bezüglich des Grundeigentums, wobei der Verfasser darauf hinweist, daß bei Ansrechthaltnng der altrömischen Ausdehnung des Grnnd-