Friedrichsruhe
bösen Zeit vorher, wo ihm neben einem hartnäckigen verstimmenden Magenleiden auch schmerzhafteste Neuralgie und Schlaflosigkeit eine Zeit lang fast ohne Unterlaß schlimme Tage und Nächte bereiteten und ihm auch in seinen Urlaub und in seine Sommerfrische folgten. Das Magenleiden scheint gänzlich gehoben zu sein, der quälende Gesichtsschmerz tritt mindestens viel seltner als früher auf, und der Schlaf flieht sein Bett nicht mehr so beharrlich wie damals, wo er ihm oft erst mit dem Morgengranen die Augen schloß. Die alljährlich sich wiederholenden Reisen zur Trinkkur in Kissingen und nach dem Gasteiner Bade sind nicht mehr nötig. Der Kanzler macht hänfig Ausflüge zu Fuß, wobei „sein Pensum fünftausend Schritte sind"; auch der Sattel wird wieder bestiegen, und zwar zu Nitteu, die stundenlang dauern. Ans die schlimmen Tage sind gnte und heitere gefolgt, eine Verjüngung, für die wir dem Himmel und dem Doktor Schwenninger von Herzen danken, und von der wir wünschen und hoffen wollen, daß sie ihm noch für viele Jahre beschiedeu sein möge.
Wenn der Kanzler in die Ferien geht, so geschieht es, nm sich in grüner Einsamkeit zu erholen, sich wieder einmal als ^andedelmann zn fühlen und täglich die Waldesstille aufzusuchen, wo „man nur den Specht hört." Ganz gelingt ihm freilich diese Jsoliruug nie, weder in Friedrichsruhe noch in Varzin. Die Welt folgt ihm auf den Eisenbahnschienen und Telegraphendrühten nach; denn sie bedarf seiner, auch wenn er ihrer nicht bedarf. Sie kommt zu ihm in Briefkouverts und Aktenbündeln und in Gestalt von Besuchen, heimischen und fremden Ministern, Botschaftern, Gesandten lind Räten, die alle mehr oder minder wichtige Fragen und Berichte mitbringen. Es giebt also zu jeder Zeit Geschäfte und Arbeit, nicht so viel, namentlich nicht eine solche Last kleinen Gemüses wie in Berlin, aber immerhin mehr als genng. Zu ihrer Erledigung werden als Gehilfen der oberste Expedient der Reichskanzlei, Geheimrat von Nvttenburg, und ein Sekretär mitgenommen, die oft reichlich zu thun haben. Und was das große Reich nicht von Arbeitskraft beansprucht, verlaugt mit seinen Bedürfnissen, seinen Schöpfungen, seinen Sorgen das kleine Reich der fürstlichen Besitzungen und hier zunächst dessen Provinz im Amte Schwarzenbeck, wo Oberförster Lange mit Fleiß und Würde als erster Minister waltet. Die Pflichten des Großgutsbesitzers werden vom Fürsteu mit Verständnis und Sorgfalt wahrgenommen, er läßt sich regelmäßig Bericht über die Verwaltung seines Wald- und Feldeigentums erstatten und sieht auf seinen Fahrteu, Ritten und Gängen persönlich nach, wie es steht und wo es fehlt, wie weit es mit der oder jener Anlage oder Verbesserung ist, wie die Saaten aufgehen nnd gedeihen, wie den Kühen im Wickenfelde die neue Weide bekommt, und dergleichen mehr.
Die tägliche Ordnung im Leben des Reichskanzlers hat in Friedrichsrnhe wie in Varzin etwa folgenden Gang. Früh Arbeit am Schreibtische, dann bei gutem Wetter ein Gang oder Ritt, wohl auch ein Ausflug zu Wagen in