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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches »nd Unmaßgebliches

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Voraus, daß er nicht »ach den Wünschen der Altrusse» entscheiden werde; deshalb mußte ein Hauptstreich geführt werden, der denn auch Katkow nur zu g»t gelang. Katkow zog eine zwei Monate vorher bei der Eröffnung des livländischen Land­tages zu Riga von dem damalige» von alten Kreisen, anch von der Regierung Hoch­geachtelen Ge»ernlsuperiuleudeuleu Bischof Wnllcr gehaltene uud mit Erlaubnis der kaiserlichen Zensur durch den Druck verbreitete Predigt hervor, gab den Inhalt derselben geschickt entstellt wieder nnd verkündete dem entsetzten Nußland ebenso unwahr wie unverblümt, daß die deutsche» Ostseeprovinzen sich Rußland gegenüber in gleicher Verschuldung wie Polen befänden. Damit cutzündete er ein Feuer, wie er es wohl'selbst nicht erwartet hatte, da er ausdrücklich schrieb:Nußland wird ohne Zweifel stets den deutsche» Sitten uud der deutscheu Kultur i» diese» Länder» seiue möglichste Uuterslühnng verleihe». Gott möge u»s davor bewahre», daß wir z. B. das dort auf der alle» zivilisirteu Völker» gemeinsamen Grundlage beruhende pädagogische System dnrch irgend welche vandalische Einbrüche zerstörten, daß wir z. B. die dortigen Gymnasien ans die traurigen Stufen unsrer Bilduugsaustalteu herunterbrttchteu. Möge der Unterricht sowohl in den Gymnasien als aus der Universität in deutscher Sprache erteilt werden. Ein Protest gegen diese Orduuug Wäre von unsrer Seite ein wirklich falscher Nativualstolz, von dem wir, Gott sei dank, frei sind." Diese Worte sind längst vergesse», wer weiß, ob Katkow, wen» er noch lebte, sie selbst aufrecht erhalte» würde. Das wider die Bewohner der Ostseeprovinzen eingeschlagene Verfahre» widerspricht zwar den bestimmten Lehre» der russische» Kirche, dem zu besonders starker Duldsamkeit gegenüber Anders­gläubigen angelegte» russische» Volkscharakter uud deu Erlasse» aller Beherrscher Rußlands seil Peter dein Große». Alle!» die allmächtig herrschende altrussische Partei seht sich über alle Vorurteile hinweg uud seht ihren Kampf gegen die Kultur des Westens fort. Die Vernichtung dieser Kultur uud uicht die Ausbreitung der orthodoxen Kirche ist der Hauptzweck. Deshalb geschieht auch nichts dagegen, daß nach der Unterdrückung der evangelischen Mission unter den Tataren im Wvlga- gebiete die Mnhammedauer eiue Propaganda eröffnet haben, infolge deren fich der Islam dort unaufhaltsam ausbreitet; die Zensur duldet, daß dort zahlreiche, zum Teil sogar in der UuiversitätSdruckerei zu Kasan hergestellte Schriften verbreitet werden, die den Kampf gegen die Ungläubigen und deren Unterwerfung nuter den Padischah, d. h. den Sultan zu Koustantinopel, Predigen. In den Ostseeprvvinzen, aber darf ungestraft von russischen Popen das lutherische Bekenntnis öffentlich als Hundeglaubeu" bezeichnet werden, als Loh» für den Übertritt zur Orthodoxie wird den Leuten Straflosigkeit wegen begangener Verbrechen, Gewinn von Rechts- streitigteiteu, Erlverb von große» Gütern zugesichert. Diese Güter werde» freilich hinterher als im Himmel liegend bezeichnet, und wen» beide Parteien, um deu Rechtsstreit zu gewinnen, übergetreten sind, muß sich doch mindestens eine Partei enttäuscht fühlen. Dem russischen Geistlichen, der mehr als hnndert Lutheraner znr orthodoxem Kirche bekehrt hat, wird der Anneuordeu dritter Klasse verliehen, eine AnSzeichnung, auf die mich de» OrdeuSslatute» diejeuigen ei» Recht habe», die nicht weniger als huudert Nichtchristen oder Anhänger verderblicher Sekten zur herrschende» Kirche übergeführt haben." Damit ist die lutherische Kirche, der drei russische Großfürsliuue» augehören, als eine verderbliche Sekte, gleich den Stvpzen, gebrandinarkt. Schriften, die eine solche Propaganda bekämpfen, werden dnrch die Zensur von der Veröffentlichung ausgeschlossen, ein Schicksal, das sogar einmal einen Auszug von Liedern aus dein Kirchengesangbuch betroffen hat. Aber wehe den, lutherische» Geistliche», der auch uur iu den Verdacht kommt, ein