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Vom Münchner Theater
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86 vom Münchner Theater

gelassen hat. Der Vorteil des deutschen Dichtergeistes wäre sicher dabei. Denn in der Schnürbrust der Akteinteilung kann der deutsche Geist nicht sein Bestes leisten; er muß sich frei bewegen können gleich Shakespeare, und dazu muß die letzte Härte der Akteinteilung fallen, in die uns eben nur die schwerfälligen Verwandlungen immer wieder zwingen.

Die Ausstattungsstücke svllen damit nicht etwa weggeblasen werden, bei­leibe nicht! Ein Bedürfnis braucht das andre nicht auszuschließen, und wir haben wiederholt auch einer reichern Ausstattung an der rechten Stelle ihre Berechtigung zugestanden, vor allem in der Oper, die von vornherein an wenige Verwandlungen gebunden ist. Nur soll die eingesessene Ausstattungs- kunst ihrerseits einem mindestens gleichberechtigten dringenden Bedürfnis Raum geben. Das dringende Bedürfnis offenbart sich aber laut genug in dem unerquicklichen Verhältnis der deutschen Bühnendichtung zum deutschen Volke.

Wir hören in Deutschland ein ewiges Gejammer darüber, daß unsre Dichter keine so volkstümlich ansprechenden Dinge an den Tag brächten wie die französischen, und doch laufen sich deutsche Dichter unablässig die Beine weg hinter französischen Vorbildern her! Und deutsche Dichter hören wir unablässig jammern über die Stumpfheit ihrer deutschen Kundschaft. Nun, ihr deutschen Bühnendichter, kümmert euch ein wenig um den Teil der deutschen Bühnenkundschaft, dem der MünchnerLear" willkommen war, denn die eigent­liche deutsche Volksseele wird eben nicht in ihrer Tiefe befriedigt durch das, was ihr den Franzosen abguckt! An einem ganzen Shakespeare aber könntet ihr euch inwendig auferbaun und damit von dein blutsverwandten Dichter das lernen, was ihr von französischen Berufsgenossen, seien es auch die treff­lichsten, nun und nimmer lernen werdet: wie man dem deutschen Volke, und nicht bloß einem Bruchteil deutscher Bildungswelt, durchschlagend und auf die Dauer gefalle!

Wäre die deutsche geistige Schulung nicht infolge ungünstiger geschicht­licher Umstünde bisher so verkehrt gewesen, uns die Füße von Anbeginn auf fremden Boden zu stellen, so wäre unsre Bühne ohnehin aus sich selber zu Shakespearischer Entfaltung gelangt, denn der Shakespearische Geist ist im wesentlichen auch deutscher Geist, auch heute noch, in aller Breite und Tiefe. Laßt euch nur dazu herab, zu beachten, was in enrer nächsten Nähe vorgeht! Laßt euern Blick hinüberschweifen auf das mißachtete Gebiet der freien, das ist der urwüchsigen kleinen Volkskunst, die doch eigentlich die Grundlage unsrer Kunstentwicklung, auch der höchsten, sein sollte und auch eiumal werden muß! Shakespeare wird noch jeden Tag in Deutschland geboren, und seine Bühne lebt noch immer in ursprünglicher Art in Deutschland, aber freilich an Stätten, die unsre schiefe Bildung nicht mitzuzählen gewohnt ist. Begabte Volkssänger bringen es noch fertig, mitunter tiefernste dramatische Stücklein ohne jede szenische Umgebung, nur mit ein wenig Nachhilfe am eignen Leibe,