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Am Panamakanal
und las aus tausend Warnungen, und kluge Leute sagtens deutlich heraus, daß, je mehr Musiker in der Welt vorhanden wären, umso schärfer nach ihrem Talent gefragt werden müsse, und umgekehrt, daß je mehr Konservatorien und Musikschulen entstünden, deren Eigentümer uud Lehrer von ihnen leben wollten, gut leben wollten, Herr, nmsoweniger nach dem Talent der Schüler gefragt werden könne. Aber was die Spatzen von allen Dächern pfeifen, das hört eben keiner, und Wenns tausendmal wahr ist. Sie mnssens drüben immer toller und toller getrieben haben, so in den neuuziger Jahren und bis zum neuen Jahrhundert muß ein wahres Fieber geherrscht haben. Ums Jahr 1900 las ich, daß es in Berlin allein zwölfhundertundachtzig Musikschulen gebe, und schon eine Meile im Umkreis in jedem Dorf eine und in jeder Stadt, die größer war als Pasewalk und Prenzlau, ein halbes Dutzend, und als der große Krieg von 1901 zu Ende war, da muß es immer schlimmer und schlimmer geworden sein. Die Leute wußten nun schon, daß, wenn einer unter taufenden von sogenannten Künstlern eine gute Existenz gewann, dies war wie das große Halbmillionenlos in der Braunschweiger oder Leipziger Lotterie. Doch wie jeder sein Viertel oder Achtel auch nur in der Hoffnung auf die halbe Million oder wenigstens die Hunderttausend spielt, so drängten sich die Schüler in die Konservatorien und Musikschulen. Sie verkümmerten zu Zehntausenden, sie verhungerten zu Tausenden, sie nahmen sich zu Hunderten das Leben, aber das waren die Enttäuschten, und die Zahl der hoffenden Anfänger wurde darum uicht kleiner, sondern täglicher größer. Da sie ein Deutscher sind, Herr, so müssen Sie doch etwas davon wissen."
„Etwas, nicht viel"! räumte der junge Gelehrte ein. „Das wnßte ich, daß in Deutschland uud in halb Europa infolge der wahnfinnigen Massenabrichtung für eine Kunst, zu der man etwas mehr als Lust und Ehrgeiz mitbringen muß, die Lage der Musiker sehr peinlich ist, daß selbst die bestbefähigten von denen zur Seite gedrückt werden, die großes Vermögen besitzen und die Laune haben, sich dieser Kunst hinzugeben. Ich habe auch viel gehört, daß diese schlimmen Verhältnisse den schlimmsten Einfluß auf die armen Musiker selbst gehabt haben. In keinem andern Berufe soll der Brotneid in seiner häßlichsten Gestalt so überwiegen, jeder haßt jeden, weil er in jedem einen Verkleinerer der schmalen Bissen von Auskommen und Erfolg erblickt, die ihm selbst in Aussicht stehen. Aber das erklärt nur nicht, was ich hier sehe. Wie kommen die taufende von deutschen Musikern hier herüber — wer ist auf den tollen Einfall gekommen, gerade diese unglücklichen Leute hier am Kanal arbeiten zu lassen"?
„Ja, Herr, das war so!" sagte der Wirt, der sich inzwischen vertraulich zu seinem Gast gesetzt hatte. „Als die große Panamakanalkompagnie in New- York und Cincinnati schließlich keine Arbeiter mehr kriegte, als selbst die Langzöpfe nicht mehr heranwvllten, weil die Leute hier hinstarben wie die Fliegen,