Neue Erzählungen
467
entfremdet. Er findet sich deshalb auch im neuen Reiche nicht zurecht. Wir fragen nun: ist dieses Motiv jetzt noch zeitgemäß? Haben die Vorwürfe, den so ein ausgegrabener Achtundvierziger als solcher der Gegenwart macht, irgend welche, sei es auch nur poetische Berechtigung? Diese Frage ist selbst vou dein Standpunkte Spielhagens, der einen „Zeitroman" schreiben wollte, berechtigt. Hätte er seinen Helden nicht eben mit Nachdruck als Achtundvierziger eingeführt, sondern, sowie er ihm eigentlich geraten ist, als ein abstraktes sittliches Ideal eines Heiligen, an dem der Wert der Gegenwart gemessen wird, so hätte er zwar weniger anspruchsvoll, aber doch klarer gehandelt. Der Achtundvierziger, der ein langes Menschenalter hindurch von Deutschland fern gewesen ist, steht außer jeder Beziehung zum deutschen Volke, ist poetisch und sittlich nicht mehr wert, als etwa ein ansgegrabener Weimaraner oder ein heraufbeschworener Zeitgenosse Friedrichs II., ein willkürlich aufgestelltes Ideal der Nation, das kein Mensch anzuerkennen braucht. Den Vorteil Auerbachs im „Waldfried" hat Spielhagen eben nicht mehr, und daß er dies nicht erkannt hat, erscheint uns als der Grundfehler seines Romans als „Zeitroman." Nur an sehr lebendige geschichtliche Erinnerungen, vielmehr an geschichtliche Mächte, die uur halbvergangen sind, darf der Zeitroman anknüpfen, wenn er ein zutreffendes Spiegelbild der Gegenwart liefern soll.
In dem Baron vou Nlden, der sich jetzt Heinrich Smith nennt, hat also Spielhagen den Geist des Jahres 1848 verkörpert. Alden ist der Joseph, dessen der neue Pharao, d, h. die neue Zeit, sich nicht mehr erinnert, von dem sie nichts weiß. Auch diese Verkörperung der Achtundvierziger ist von dein Vorwurfe der Willkürlichkcit nicht freizusprechen. Waren denn die Achtundvierziger wirklich Republikaner in ihrer Mehrheit? Haben sie denn einem Monarchen keine Krone angeboten? Nur einen Tropfen demokratischen Öles wünschte Uhlcmd auf die deutsche Kaiserkrone, aber doch auch eine Krone, und Uhland wird doch wohl die Gesinnung des deutschen Volkes genügend dargestellt haben! Der „Tropfen demokratischen Öles" fehlt übrigens der deutscheil Kaiserkrone, die eine soziale Gesetzgebung durchführt, auch nicht.
Und nun erwartet mau, daß der „nene Pharao" mit aller einem Sitten- schilderer zu Gebote stehenden Kunst uud Farbenfülle vor unser Auge gebracht werde, damit wir so recht erkennen, wie sich die Gegenwart im Lichte jener vom Dichter elegisch entbehrten idealen Gesinnung der Achtundvierziger aus- uimmt. Hier kann der Rvmanschreiber seine ganze Fähigkeit entfalten, und man ist uicht wenig auf das soziale Gemälde gespannt, das Spielhagen nun entrollen wird. Allein wie wird man enttäuscht! Spielhagens Charakteristik geht nicht mehr wie in seinem früheren Roman „In Reih und Glied" auf die Schilderung der großen Volksmenge, sondern sie zieht sich auf den engen Kreis einer Familie zurück, deren einzelne Mitglieder Typen der Gegenwart vorstellen sollen. Es sind aber keine originellen Gestalten. Nnr zweimal durchbricht