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Die kirchlichen Verhältnisse in Österreich
Berücksichtigung der bäuerlichen Anschauungen, dagegen Abweisung aller politischen Ansprüche der Ultramontanen müßte der Grundsatz sein, auf dem sich die Deutschen zu einer wirklichen Macht im Staate erheben konnten. Den Kampf gegen die Kirche können und dürfen sie heute uicht führen.
Zu einer Umgestaltung der konfessionellen Verhältnisse ist die Gegenwart nicht geschaffen: alle darauf abzielende» Versuche sind gänzlich, mitunter schmählich, gescheitert. Die Zeit des Glaubeuswechsels ist vorüber, dazu fehlt die Tiefe und Innigkeit der religiösen Überzeugung. Mau könnte es vom nationalen Gesichtspunkte wohl wünschenswert finden, daß die Deutschöster- rcicher Protestanten werden, aber man kann es heilte weniger durchführen, als wenn man es noch mit der ganzen spanischen Inquisition zu thun hätte. Freilich dürfte bei einer darauf gerichtete» Agitation in diesem oder jenem Städtchen die Bildung einer evangelischen Gemeinde zu erzielen sein; wen aber würde eine solche glaubenslose Gemeinde befriedigen, welches innere Leben wäre ihr beschieden? Von den Armen und Niedrigen aber, die ihrem Gott ihr Elend uud ihre Sorgen zn klagen haben, die den Trost in bestimmten Verheißungen und in verständlichen Formeln vernehmeil wvlle», wären die Aufgeklärten, die sich eine Organisation nach evangelischem Muster schaffen wollten, für immer getrennt. Die katholische Kirche würde durch eine solche Bewegung selbstverständlich schwer getroffen; um sie hiutanzuhnlten, legt sie den Aufgeklärten auch so weilig Hindernisse in den Weg, als ihr gestattet ist; unschädlich »lachen aber würde man sie nicht, ihre Kraft würde nach wie vvr dort liegen, wo sie heilte liegt, in dem streng glünbigen Bauernstände. Sollte sich jemand vermessen, dreihuudert Jahre nach der Gegenreformation im Zeitalter Darwins noch einmal reforiniren zn wollen? Man wird sich wohl bescheiden müssen, ans dein Boden der gegebenen Verhältnisse zu bleiben und diese so zu gestalten, daß die katholischeil Priester, wenn sie ihre Stellung im Volke nicht selbst gefährden wolle», in den nationalen Angelegenheiten der Deutschen ebenso mit diesen gehen, wie sie es in Böhmen, Krain, Ungarn, Polen, ja selbst in Frankreich thun. Diese Aufgabe zu löseil wird jedoch mir derjenigen deutschen Partei gelingen, die auf den Knlturkcimpf verzichtet und den grundbesitzendeu Teil der Bevölkerung vvr allen andern zu befriedigen trachtet. An einem guten Vorbilde für diese Pvlitik fehlt es nicht.