Maßgebliches und Unmaßgebliches
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fühlen, und obschon sie ja die Wohlthaten gar nicht selbst erweisen, nur die Vermittler der von der Behörde bewilligten Unterstützungen sind, jenes Gefühl stellt sich doch ein, nnd manche der Armen haben eine ungemein scharfe Witterung dafür. Ferner: man mache einmal die Probe und sehe zu, wie viel schwerer es halten würde, Armcnpflegcr zu gewinnen, wenn die Bekanntmachung des Armen- amtes wegfiele, daß Herr N, N, die auf ihn gefallene Wahl für den soundsovielten Bezirk angenommen habe und in sein Amt eingewiesen worden sei! So leicht einer heutzutage dazu kommen kann, es hat doch noch immer einen sonderbaren Reiz, sich gedruckt zu sehen.
Indessen das mag ja unvermeidlich sein, und jedenfalls wird durch die Vorzüge der heutigen Armenpflege, die Verteilung der Arbeit, die genauere Prüfung der Verhältnisse u, s. w,, jener kleine Schaden bei weitem ausgewogen.
Allein uusre Zeit hat Fvrmeu der Wohlthätigkeit erzeugt, die von vornherein und fast einzig ans die Eitelkeit bauen. Ich denke da zuerst au die Reichsfechtschule. Was sie geschasfeu hat uud noch ferner schaffen wird, in allen Ehren. Aber würde sie diese Erfolge erzielt haben ohne die zahllosen Aemtlein undWürdlcin, die sie unter Männer und — Frauen austeilt, ohne die höchst vergnügten Abend- untcrhaltungen, Tänzchen u. s. w., die sie veraustaltet, und bei denen des Apostels Paulus Wort (2. Kor. 9, 7): „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb" die eigentümliche Umdeutnng erfährt: „Man muß sich amüsiren zum Besteil der Wohlthätigkeit" ? Natürlich hat die Reichsfechtschule auch ihr eigues „Organ," und was vorhin von dem Sichgedrucktsehen gesagt wurde, das gilt hier hundertfältig. Das Sammeln an sich wertloser Dinge, Cigarrenbänder, Cigarrenabschnitte, alter Handschuhe, Staniolkapselu und wer weiß was noch, hat sicherlich einen gewissen Sinn für die Erziehung zur Sparsamkeit, uud der Satz: Man soll nichts umkommen lassen, hat eine tiefe volkswirtschaftliche Bedeutung. Diese Sammelei wurde ja auch schon längst betrieben; aber die Organisation, die Zcntralisation, das war unsern Tagen, das war der Rcichsfechtschule vorbehalten.
Nahe verwaudt mit der Rcichsfechtschule sind die Krcuzbrndervereine. Hier tritt das Stammtischwesen, das ja in unsrer Zeit leider eine sehr große Rolle spielt, in den Dienst der Wohlthätigkeit; durch allerlei Bierbankscherze wird den Stammgästen in vergnügter Stunde ein Schcrflein von ihrem Skat- oder Schafkopfgewinn abgelockt, und von dem so gesammelten wird dann meist eine Weihnachtsbeschernng für einige bedürftige Familien veranstaltet. Nun möchte das noch sein, wenn diese Bescherung in bescheidener Stille vor sich ginge! Aber da müssen die Armen vor der versammelten Tafelrunde antreten, der Vorsitzende überreicht mit mehr oder minder wohlgesetzter Rede das auf sie „ent"fallende, uud dann — trinken die ehrsamen Kreuzbrüdcr uud Kreuzschwestern in dem Bewußtsein der vollbrachten edeln Thaten ein paar Glas mehr als gewöhnlich. Uud damit nicht genug: am andern Tage muß es auch uoch recht rührend im Blättchen zu lesen stehen, daß da uud da eine „würdige" oder eine „weihevolle" Feier des Christfestes stattgefunden habe. Nämlich der Kreuzbrudcrstanuntisch Nummer 492 u. s. w. u. s. w.
Die Wohlthätigkeit alten Stils, Wo sich jeder Einzelne in seiner Umgebung darnach umsah, ob es Not zu liudern und Thränen zu trocknen gebe, und mit eigner Hand zugriff, um zu helfen, droht unsrer Zeit völlig abhanden zn kommen. Heute zahlt der Reiche, oft genug noch dazu mürrischen Gesichts, dem Sammel- bvten, der die Vereinsbeiträge einholt, den gezeichneten Jahresbeitrag und überläßt die angemessene Verwendung denen, die sozusagen von Berufs wegen „in Gemeinnützigkeit machen."