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Die Kaiserfrage und Geffkens Tagebuchsblätter
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Die Uaisorfrago und Geffkens Tagebnchsblätter

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lösung des Bundesstantes in einen Staatenbnnd durch. Für seinen Enkel Karl V. war das deutsche Reich nur eine Provinz seines Weltreiches, uud nicht diejenige, die ihm die liebste war. Das war vielmehr Spanien, für das er Italien eroberte, uachdem er die Franzosen von da vertrieben hatte, mit dessen militärischen Kräften er die deutschen Protestanten bekämpfte, und das ihm gemeinschaftlich mit Italien die Rate lieferte, denen er dann die Leitung der deutschen Politik übertrug. Wie der Protestantismns von der alten Kirche, so war unter ihm die deutsche Nationalität von Fremdherrschast bedroht, und wenn in keinem Nachbarstaate über dem religiösen Streite das nationale Be­wußtsein für geraume Zeit verloren ging, so war dies unter diesem welt­beherrschenden Kaiser in Deutschland der Fall. Der Kaiser bedrängte die evangelischen Fürsten mit spanischen Heerhaufen, und die Fürsten riefen dagegen französischen Beistand auf. Der Kaiser bezahlte die spanische Hilfe mit Über­weisung der Niederlande, die Fürsten die französische mit Überlassung von Metz, Toul und Verduu. Wie die Weltpolitik der mittelalterlichen Kaiser die Kräfte Deutschlands für hoffnungslose Aufgaben im Auslaude vergeudet hatte, fv riß die des ersten Kaisers der ueneu Zeit die Glieder der Nation stückweise ans einander. Ähnlich verfuhren in wichtigen Fragen die österreichischen Nach­folger Karls, indem sie ihre Thätigkeit für die Verteidigung Deutschlands gegen Frankreich nicht nach dem deutschen, sondern nach dein Habsburgischen und dem kirchlichen Interesse bemaßcn.

Konnte nnn der Kronprinz bei seinem Widerstreben gegen den Kaisertitel auf diese Erinnerungen hinweisen, so war ihm zu erwidern, daß an eine Erneuerung des heiligen römische» Reiches, an einen halb priesterlichen Charakter seines Oberhauptes nicht gedacht werde und gar nicht gedacht werden konnte, und daß iu dem Namen Kaiser, dentschcr Kaiser nicht das Streben nach Er­oberung fremder Länder, nicht die Absicht, ein Weltreich zu gründen, liege, ja durch ihn ausdrücklich ausgeschlossen sei. Deutscher Kaiser bedeute nationaler Kaiser, nicht, gleich dein Papste, den Anspruch ans Regierung der ganzen Christenheit erhebender Kaiser, nicht Weltbeherrschcr, nicht einmal Gebieter über alle Deutschen, auch die in Österreich, Holland und den baltischen Landen beisammen wohnenden, oder auch nur die Hoffnung auf eine zukünftige Stellung der Art. Die große Mehrheit der Nation verwerfe jede Erinnerung an das mittelalterliche Kaisertum mit seinen Krenzzügen und Nomfahrten und wolle auch von nichts ähnlichen! wissen. Sie verlange einen friedlichen Herrscher, der das Volk zusammenhalte, seine Kräfte für die innere Wohlfahrt entwickle und seine Freiheit gegen das Ausland sicher stelle und wahre.

Die Königsidee, so argumentirte der Kanzler, sei unausführbar und ohne Stütze im Volke uud bei deu meisten Fürsten. Drei kleinere Könige unter einem größeru seien etwas noch nicht dagewesenes. Ans gütlichem Wege ließen sich die Könige nicht degradiren. Dauu wurden dem Kronprinzen die