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Die Lebenserinnernngen des Grafen von Schack.
rungen die ästhetischen, namentlich die litterarischen Urteile des Verfassers in Anspruch, Sie haben sicher ein Recht, vernommen und beachtet zu werden, denn Schack besitzt außer einer umfassenden und in laugen Jahren erworbenen Belcsenheit in allen Sprachen und Litteraturen die einheitliche Anschauung und tiefere Einsicht, welche einem schaffenden Künstler, der über seine Kunst denkt, immer zu eigen ist. Gegenüber den Werken der Poesie ist er offenbar nie müde, nie blasirt geworden, er erinnert sich noch heute mit ganzer Frische der Schauspiele, die er in seiner Jugend gesehen, der Bücher, die er vor einem Menschenalter gelesen hat. Aber innerhalb der Litteratur zieht er eine scharfe Grenzlinie und bekennt eine Anschauung, die ihn zu der heute herrschenden, zu den Neigungen des Publikums, zu den Urteilen und Vorurteilen der beinahe ausschließlich maßgebenden Tageskritik in entscknednen Gegensatz bringt. Es wäre Unrecht, zu sagen, daß Graf Schack nur der Poesie im engsten Sinne seine Sympathie widme und sie der Prosa versage. Mit einer einzigen Stelle, wie seiner Auslassung über Hurtado Mendozas große Geschichte des granadischen Krieges, könnte solche Behauptung widerlegt werden. Nein, die Prosa des Geschichtschreibers, des Philosophen, des Kritikers ist ihm willkommen und eine Quelle geistigen Genusses. Aber mit entschiednem Mißtrauen steht er jener Prosa gegenüber, welche in den Litteraturen der Gegenwart einen so breiten Raum einnimmt, der Prosa des Romans und der Novelle. Der Verfasser verhehlt nirgends seine geringe Schätzung dieser Formen. Bei Gelegenheit der Besprechung von Jmmermann äußert er geradezu: „Man muß uugemein beklagen, daß die Gleichgiltigkcit des Publikums Jmmermann bestimmt hat, sich unter Aufgeben seiner Thätigkeit für das Drama dem Romane zu widmen. Hier feierte er Triumphe, wie sie auf diesem Gebiete so leicht zu erringen sind. Seine »Epigonen« und »Münchhausen« mögen auch ganz schätzbar sein; indes waren seinem Talente höhere Ziele erreichbar, als die er sich darin gesteckt hatte." Wir lassen dies dahingestellt, wir wissen nur, daß sich Jmmermanns eigentümlichste Natur, die selbständige Poesie seines Wesens erst in diesen Prosaschöpfungen ausgesprochen, wenn auch nicht ausgelebt hat. Die gebundne Form widersprach der Anlage Jmmermanns, verhinderte ihn geradezu, sein Bestes zu geben. Schack meint selbst, die Strophe in Jmmermanns „Tristan und Isolde" und die Metren im „Merlin" hätten einen Sprachkünstler ersten Ranges erfordert. „Unter der Behandlung Jmmermanns sind diese Versgebilde förmlich unerträglich geworden; die Reime werden bei den Haaren herbeigezogen, die Füße hinken und stolpern, und wenn die beiden Werke in dem denkbar einfachsten Maße geschrieben wären, würde ihr Inhalt weit mehr zur Geltung kommen." Wie leicht scheint der Schritt von dieser Erkenntnis bis zu der, daß es poetische Stoffe und poetische Absichten giebt, welche innerhalb der gebundnen Redeform nicht ganz erfaßt, nicht völlig gelöst werden können. Aber gegen diese Erkenntnis sträubt sich, >vie wir sehen, Graf Schack. Er wird schwerlich der Meinung sein, daß Cer-