Gin neues Lrdbild.
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in ihre wichtigste Konsequenz zu verfolgen, welche den Menschen zum mikroskopischen Wesen auf dem Kügelchen Erde macht, das im Meere der Sonnen des Fixsternhimmels verschwindet! Man spricht immer vom Menschen als dem Maße aller Dinge, während es doch die Erde ist, welche das Maß für die Kleinheit der über sie hin sich bewegenden, aus ihr geschaffnen Wesen zu geben hat. Tiefe, innige Gemüter haben die Erwägung der Kleinheit des Menschen im Vergleich zum Wetall moralisch wertvoll gefunden, seltener ist die wissenschaftliche Fruchtbarkeit des Versuches gewürdigt worden, den Menschen allein nur im Verhältnis zu seinem Planeten ganz begreifen zu wollen. Die echt geographische Thatsache des Größenverhältnisses, das den durchschnittlichen Menschen die Ausdehnung von kaum einem Zweimilliontel seines Erdradius zuweist, gehört vorzüglich zu den Grundlagen aller Lehre vom Menschen und der Erde.
Vorstehende Betrachtungen stellten wir im Anblick einer höchst merkwürdigen Abbildung eines Teiles der Erde an. Sie zeigt in einem meridionalen Durchschnitt die Strecke zwischen Drontheim und Tripolis, also vom 31. bis zum 65. Grad nördlicher Breite, im Maßstabe von 1:1 Million.*) Das ist ein Maßstab, welcher erlaubt, die Krümmung der Erdoberfläche unter Berücksichtigung der Polaren Abplattung zu zeichnen und gleichzeitig alle nennenswerten Unebenheiten der Erdoberfläche in ihrem natürlichen Größenverhältnisse zur Darstellung zu bringen. In unsern Atlanten und Büchern werden derartige Darstellungen notwendig immer in viel kleinerem Maßstabe gegeben, wobei die Höhen, um noch wahrgenommen werden zu können, zehn, hundert, auch tausend mal stärker aufgetragen werden, als sie in Wirklichkeit sind. Das sind Profile, auf denen mäßig ansteigende Hügel als Zuckerhüte erscheinen, die wir nirgends in der Natur wahrnehmen. Man mag für gewisse Verdeutlichungen dieser Bilder nicht Wohl entraten können, es ist aber doch bedenklich, wenn diese kolossalen Übertreibungen häusiger wiederkehren. Und jedenfalls ist es gut, wenn man ihnen den ungehemmten Eingang in den Kreis unsrer Vorstellungen durch die Vertrautheit mit deu wahren Verhältnissen verlegt, wie eben das vorliegende Erdbild sie so glücklich vermittelt. Denn der erste und hauptsächlichste Vorzug dieses Bildes vor den, wenn auch noch so wissenschaftlich, verzerrten Karten, ebenso wie vor den Erdgloben, welche mindestens nur als verarmte Bilder gelten können, liegt in der Wahrheit. Wir haben hier unbedingt das ähnlichste oder treueste Bild der Erde vor uns, welches in der so wichtigen Form des Durchschnittes gegeben werden konnte.
Treten wir dem 3^ Meter langen Bilde gegenüber, so blicken wir nach
*) Erdprofil der Zone vom 31. bis 6S. Grad nördlicher Breite im Maßverhältnisse von 1:1 Million. Von Ferdinand Lingg, königl. bair. Hauptmann a. D., erstem Assistenten an der meteorologischen Zentralstation München. Verlag und Ausführung von der königl. bair. priv. Kunstanstalt von Piloty u. Loehle in München, 1886.