Die Bildung der Töchter höherer Stände.
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strenger Sichtung das für die Mädchen wissenswerte auszuwählen. Er muß auch eine Art von Meister in der Form des Vortrags sein. Deshalb ist es durchaus undenkbar, daß, wie manche naivcrweise noch immer glauben, die höhere Mädchenschule sich mit minderwertigen Kräften begnügen könnte, Lehrern, die in der Philologie oder Theologie Schiffbruch erlitten haben oder Zeugnisse zumeist zweiten oder gar dritten Ranges besitzen. Die Berliner Ministerialkonferenz erachtete überdies als notwendig eine glückliche Mischuug des Lehrkollegiums aus akademisch und seminaristisch gebildeten Lehrern und Lehrerinnen. Erst durch ein gedeihliches Zusammenwirken von Lehrern und Lehrerinnen kann in der That der Idee einer höhern Mädchenschule entsprochen werden. Indes soll sie keineswegs vorwiegend unter weiblichem Einflüsse stehen, wie neuerdings lebhaft, ja agitatorisch begehrt wird. Als Regel wird zu gelten haben, daß die Leitung der Anstalt, der Religionsunterricht in den höhern Klassen, sowie der in den wissenschaftlichen Fächern und fremden Sprachen in den obern Klassen, soweit letzterer nicht mit in den Händen von Lehrerinnen liegt, akademisch gebildeten Lehrern zu übertragen ist.
Wenn auch die Berliner Normen der 1873 er Augustkouferenz noch keine gesetzliche Kraft erlangt haben, so sind sie doch auch ohne einen solchen Nachdruck überall da mehr oder minder befolgt worden, wo es sich um Reorganisation oder Neueinrichtung von hvhern Mädchenschulen öffentlichen Charakters handelte. Zunächst zwar für den preußische» Staat und dessen Anstalten entworfen, haben sie, eine Bekräftigung der Weimarer Anregung, noch mehr Beachtung eigentlich außerhalb Preußens gefunden. Es war wie mit den italienischen Gotteshäusern. Im Campanile hatten die Glocken geläutet, uud nebenan in der Kirche wurde der Segen über die Andächtigen gesprochen.
Sind nun auch die Erfolge noch nicht nach Hunderten zu zählen, so sind sie doch immerhin erfreulich genng. Zunächst nahm in Sachsen der Unterrichtsminister in ein neues Gesetz für Gymnasien, Realschulen und Seminarien vom 22. August 1876 (Ausführungsverordnung voni 29. Januar 1877) auch die höhern Mädchenschulen auf, und die Stände des Königreichs ermächtigten ihn, ein paar vollständig organisirte höhere Mädchenschulen (in Dresden und Leipzig) nach diesem Gesetze einrichten zu lassen. Württemberg regelte sein Mädchenschulwesen durch Gesetz vom 30. Dezember 1876, und der Staat verlieh etwa einem Dutzend Mädchenschulen den Charakter von höhern Schulen mit sämtlichen Rechten uud Pflichten. Außer dem Katharinen- und Olgastift der Landeshauptstadt und eiuer dritten Stuttgarter Anstalt sind es die Schuleu in Heilbronn. Ludwigsburg, Ulm, Rentlingen, Eßlingen, Göppingen u. s. w. Im Großherzogtum Baden erhob eine landesherrliche Verfügung vom 29. Juni 1877 die höhere Mädchenschule auf die ihr zukommende Stufe, und sieben Schulen des Landes konnten die Bedingungen der Rangerhöhung bisher erfüllen. Eine erneute Prüfung des Normallehrplanes für die höheren Mädchenschulen
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