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Litteratur.
was er braucht. Wenn die Zahl der bisherigen Auflagen sich verdoppelt haben wird, dann — aber erst dann wagen wir auch zu hoffeu, daß das Buch seine Sendung erfüllt hat: denn Pietät vor der Muttersprache ist vielen, die ein Geschäft aus dem Schreiben machen oder machen müssen, noch eine unbekannte Tugend. Darum sollte wenigstens kein Lehrer und kein Schriftsteller, in deren Hände der Muttersprache Würde gegeben ist, säumen, einen solchen Warner und Berater auf seinein Schreibtische aufzupflanzen. Aber auch in keiner Vereinsbibliothek, die doch den Besitz eines Fremdwörterbuches als eine Art Ehrensache ansieht, sollte vergeblich nach Andresens „Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit" gefragt werden.
Vorwinter. Von Adolf Pichler. Gcra, Amthorsche Berlagshandlung. — Der Einsiedler. Eine Erzählung aus den Tiroler Bergen von Adolf Pichler. Leipzig, Dürr.
Adolf Pichler, zweifellos der hervorragendste Dichter uud Prosaist des jetzigen Tirols, liebt es, seine Dichtungen in kleinen, dünnen Heften, mehr als Gelegenheitsgeschenk für seine Freunde und fiir poetische Feinschmecker, als anspruchsvoll als litterarische Marktwaare in die Welt zu schicken. Der frühern Sammlung von Epigrammen „Zar Kunst und Litteratur" reihen sich die hnndertundfünfzig acht- zeiligen Sinngedichte des „Vorwinters" als glückliche Fortbildung der schwierigen Knnstfvrm an. Pichler gehört zu jenen starken Dichternaturen, die sich uubewnßt und absichtslos mit jeder Zeile selbst charakterisiren. Man erkennt ihn an seinem lakonischen, vom Bilde gesättigten Ausdrucke, an seinem schön und kräftig gebauten Verse, so unfehlbar wie einen bekannten Maler an seinem Pinselstriche. Die Strophen des „Vorwinters" bieten wieder ein aphoristisches Bekenntnis des Dichters über alles, was sein männliches, trotziges, angriffslustiges und doch so weiches Gemüt bewegt. Tirolische Natur und tirolischc Pfaffen werden gepriesen und gegeißelt, mancher Hieb gilt litterarischen Strömungen der Zeit, die letzten Strophen sind Wieu und den deutschnativnalcn Bestrebungen gewidmet. Die innigsten Töne findet der Dichter für die Feier eines geliebten Mädchens; eine rührende Novelle kommt zwischen den Epigrammen zu lyrischem Ausdruck; lächelnde Selbstironie des „vvrwintcrlichen" Poeten bringt anmutige Bewegung in die verschwiegene Geschichte; mit dem frühen Tode der jugendlichen Schönen findet sie ihren traurigen Abschluß.
So bedeutend, wie diese vom geläutertsten Formgefühl geschaffenen Strophen des „Vorwinters," können wir die jüngste Erzählung Pichlers: „Der Einsiedler" nicht finden. Ihr Held, der Bauernbursche Jodok, der aus dem Dorfe nach Innsbruck gezogen ist, um Student zu werden, in die Wirren des Franzosen- kricgcs 180S bis 1809 hineingezogen wird und schließlich seine Jugeudgeliebtc heiratet, will uns dichterisch nicht bedeutend genug erscheinen. Aber Pichlers künstlerische Absicht dürfte auch bei der Schöpfung dieser Erzählung nicht darauf hingezielt haben. Ihm war es mehr um eiu naturalistisch getreues Abbild des unterinnthalischen Land- nnd Stadtlebens in der „guten alten Zeit" zu thun, und dies hat er denn auch, als der berufenste Kenner tirolischen Volkes, in vorzüglicher Weise gegeben. Er hat sich auch vielfach dialektischer Wendungen bedient, um die Lvkalfarbe ja recht zu treffen. Wer sich für Tirol interessirt, wird die Erzählung mit großem Vergnügen lesen. M. N.
wir machen unsre Leser aus die Anzeigen des Umschlags „Neues vom Büchermarkt" aufmerksam.
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.