Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.
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spiele beschränken und auf solche, die keiner weitern Ausführung bedürfen. Wenn man auf Goethes eigne Bestimmung mit Recht so bedeutendes Gewicht legt, so fällt es auf, daß die neue Ausgabe S. 138 gegen dcu Vers den Druckfehler: „Die weit lieber ein fremdes Lied Als ihr eignes hören" fortpflanzt, obgleich Goethe in der Handschrift ein gestrichen hat. Von stärkern alten Fehlern, wie man sie neuerdings auch bei andern Klassikern mehr oder weniger sicher entdeckt hat, wollen wir gar nicht reden, ebenso wenig von eignen Versehen Goethes, z. B. Verfehlung des Mundartlichen im „Schweizerlied" S. 153 f., wo Göttling machen, lachen verlangt hatte, was Goethe, aber nicht der Korrektor zuließ, der nun auch in der neuesten Ausgabe gegen beide Recht behält. Übrigens verstößt gegen die Mundart, wie längst bemerkt ist, auch soust einiges, dessen Änderung selbst der Vers 1 f. 9, 17 forderte. So wenig liefert die Ausgabe einen ganz gereinigten Text.
Wenn die auf den Text folgenden „Lesarten," die mehr als hundert leider sehr eng gedruckte Seiten einnehmen, auch über die Entstehungszeit der einzelnen Gedichte mit Recht nichts enthalten sollen, so verdankt man es der neuen Ausgabe gern, daß sie einzelne urkundliche Entdeckungen nicht unterdrückt hat. So vernehmen wir mit Freude, daß das gemütliche Lied „Gefunden," dessen Beziehung auf Goethes Gattin längst bekannt war, als Brief am 16. August 1813 von der Haltestation zwischen Weimar und Ilmenau (Stadtilm?) ihr gesandt worden ist, daß das „Stiftungslied" am Morgen des 2. November 1801, die Ballade „Der Totentanz," deren Quelle man bisher vergebens nachgespürt hatte, am 17. April 1813 in Eckartsberga entworfen wurde, nachdem dem Dichter sein Kutscher dieses „Thüriugerwaldmürchen" erzählt hatte, daß von den römischen Elegien die zwölfte vom 8. Oktober 1790, die neunzehnte vom 24. Dezember 1789 (dem Tage der Geburt Augusts) datirt ist. Das Verzeichnis der Lesarten der Drucke ist leider nicht so vollständig, wie man erwarten sollte; selbst bedeutendere fehlen. So ist S. 396 übergangen, daß in dem Liede „Bergschlvß" der erste Druck Kcllerin statt Kellnerin hat, welche Form die „Lesarten" nur aus dem „Stiftungslied" anführen, S. 408, daß in „Wandrer und Püchterin" 19 ursprünglich „Sonne vieler Sonnen" stand, ja das später eingedrungene „aller Sonnen" scheint bloßer Druckfehler. Auch bei den Epigrammen, wo die Handschriften so reichliche Ausbeute lieferten, wird manches vermißt. So fehlt bei 61 die ursprüngliche Fassung des Schlusses des ersten Verses „Wer kann es entscheiden?", welche die gegebene Anführung der Lesart vervollständigen muß; erst im Jahre 1800 trat „Kannst du's entscheiden?" an dessen Stelle. Und auch die Abweichung des Anfangs des Verses in L und 0 ist Übergängen; daß die Änderung in lZ von Riemer herrührt, erfahren wir jetzt ans der Mitteilung über die Handschrift von 1806. Der Vers war dadurch um eine Silbe zu kurz gekommen; die Ausgabe letzter Hand schob deshalb wohl nach ob ein, wahrscheinlich nach Riemers Vorschlag, der dann in der Quartausgabe statt „ob