Literatur.
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von der Zahl und dem Umfange der von ihr abgeschlossenen nnd alljährlich nen hinzutretenden Versicherungen? Diese Umstände sprechen immerhin mit für die Beurteilung; ein wirkliches Bild der Vertrauenswürdigkeit einer Anstalt und der Zuverlässigkeit uud Sparsamkeit ihrer Verwaltung geben sie aber noch keineswegs. Hierüber müßte aus deu alljährlichen Rechenschaftsberichten das Nötige klar zn entnehmen sein. Dies ist jedoch vielfach nicht der Fall. Selbst der Kundige vermag sich daraus kein genaues Urteil zu bilde». Die Richtigkeit und Vollständigkeit der zurückgestellten Gelder, von denen die dauernde Lebensfähigkeit einer Anstalt abhängt — ein überaus wichtiger Punkt —, wird gläubig vorausgesetzt. Gegen Feuer uud Hagel versichert mau sich auf ein Jahr oder mehrere Jahre. Bei der Versicherung des Lebens werden die mühsam ersparten Jahresbeiträge in der Regel auf Lebensdauer einer Anstalt anvertraut; daher liegt umso- mehr Veranlassung dazu vor, daß man sorgfältig prüfend bei der Wahl einer Versicherungsanstalt vorzugehen imstande sei, so lange sich der Staat uicht selbst anschickt, eine eingehendere Kontrole zu übernehmen.
Sehr berechtigt dürfte darum der Wunsch sein, daß vom Staate zunächst weuigsteus dafür gesorgt werde, daß dem Publikum ciue Selbstkoutrole möglich sei. Erreicht würde dies einigermaßen durch Verpflichtung der Versicherungsanstalten, die alljährlichen Rechenschaftsberichte nach einem vorzuschreibenden Schema einheitlich abzufassen nnd erläuternd über alles das Aufschluß zu geben, was zur Beurteilung der Verhältnisse notwendig erscheint, sodaß jeder Verschleierung oder Verduukelung vorgebeugt wird.
Not thut ferner ein gesetzlicher Schutz gegeu Majorisirungen in Generalversammlungen, namentlich bei Gegenseitigkeitsanstalten. In diesem Punkte ist vielfach gesündigt worden, um Wahlen, Statutenänderungen :c. durchzusetzen, welche weder im Interesse der Versicherungsanstalt noch in dem der Versicherten lagen, die Rechte derselben beeinträchtigten und die Kontrole der Verwaltung erschwerten. Daß hier ein Riegel vorgeschoben werde, ist entschieden Bedürfnis.
Die Lebensversicherung ist vou zu hoher volkswirtschaftlicher Bedeutung für Staat und Gemeinde, als daß es nicht wünschenswert erschiene, den Anstalten, die sie pflegen, auf dem Wege der Gesetzgebung ausnahmslos deu Charakter vollster Zuverlässigkeit zu sichern.
In Frankreich ist man damit unlängst vorgegangen. Möge das Gleiche in Deutschland nicht allzu lange hinausgeschoben werden.
Literatur.
Wer steinigt sie? Eine Geschichte armer Leute r>un Rudolf Heinrich Greinz, Dresden uud Leipzig, E. PicrsonS Verlag, 1888. Der Naturalismus liegt heutzutage in der Lnft, er durchdringt alle Studir- kammern, er überschreitet alle politischen Grenzen und ist sogar bis zu dem jungen Germanisten in Innsbruck gedrungen, der mit dieser „Geschichte armer Leute" sich seiue ersten Poetischen Lorbern holen will, nachdem er bisher nur in engern akademischen Kreisen sich als Humorist bekundet hatte. Und doch ist eben so sicher, daß Grciuz niemals die Bekanntschaft Zolas noch die seiner Berliner Parteigänger gemacht hat, sondern vielmehr — wie man es auch seiner Erzählung anmerkt — mit Vorliebe Dickens gelesen hat. Aber so eine litcrarische Strömung ist nicht zu umgehen, und zunächst pflegt ihr jeder litemrische Neuliug, bewußt