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Literatur.
Johannisfeuer. Eine Dichtung von Marie von Najms.jer. Stuttgart, Adolf Bonz
und Comp,, 1888.
Es Wäre ja sehr schön, wenn man zu den zwei reichbegabten dichtenden Marien der Gegenwart — zur Marie von Olfers und zur Marie von Ebner- Eschenbach — noch die dritte Dichterin Marie von Najm^jer (wohl ein magyarisch verdorbenes Neumaier) gesellen könnte. Es wäre gar zu schön und — darum soll es nicht sein. Diese dritte Marie hat von der üppig sprudelnden Bildlichkeit und Poesie der Verse der Olfers nichts, aber auch gar nichts mitbekommen, und die vornehm künstlerische Gestaltungskraft der Ebner ist ihr ebenso fremd geblieben. Sie ist im metrischen Gewände ganz prosaisch; sie fühlt z. B. nicht, daß Fremdwörter auch bessere Verse verunstalten würden, als: „Genial ist auch Jnana, schaffend uicht, doch im Charakter" (S. 23); sie fühlt auch nicht den Schwulst in ihrem Ausdruck, den der Vers gar nicht ertragen kann; sie bedenkt nicht, daß der Dichter seine Menschen nur durch ihre Handlungen (Gedanken können allerdings auch unter Umständen eine Thätigkeit ausmachen) charakterisiren soll, und nicht durch eine ausführliche Beschreibung ihrer Gliedmaßen, wie schon Lessing vor hundertundzwanzig Jahren im „Laokoon" gelehrt hat. Darum glauben wir nicht, daß diese sich übrigens breitspurig anlassende Dichtung viel Gunst bei den Lesern finden werde.
Kommet zu mir! Festgabe für christliche Familien. Zwölf Bilder aus dem Leben des Heilandes. Von Heinrich Hofmann, Prof. der loninl. Akademie in Dresden. Brcslau,
C. T. Wiskott, 1887.
Dieses schöne Bilderwerk enthält zwölf vorzügliche Lichtdrucke nach Kreidezeichnungen. Es sind die tausendmal von Künstlern aller Zeiten und Völker dargestellten biblischen Szenen, die sich auch Hofmann wieder zur Darstellung gewählt hat: Mariä Verkündigung, die Weisen aus dem Morgenlande, die Flucht nach Aegypten, Jesus und die Samariterin, der Jüngling zu Nain, die Ehebrecherin, die Einsetzung des Abendmahls, Christus vor Pilatus, die Kreuzigung, die Grablegung, die Auferstehung und die Himmelfahrt. Aber auch er zeigt uns die unerschöpflichen und nie veraltenden Stoffe wieder in neuer Auffassung, und zwar ohne sich auf die Bahnen der Realisten oder „Naturalisten" vom modernsten Schnitt zu begeben. Heinrich Hofmann strebt nicht nach „archäologischer" Treue, er macht nicht, wie es jetzt gepriesen wird, aus Jesus einen kümmerlichen Dorfpastor, dem nur Barett und Bäffchen fehlen, und aus den Jüngern Jesu eine Anzahl schmutziger alter Trödeljuden, sondern er hängt noch an dem alten idealistischen und „akademischen" Irrtume, daß die Ausgabe der Kunst vor allem die sei, das Schöne darzustellen, und so bewegt sich denn freilich seine Auffassung der biblischen Gestalten in gewisser Beziehung in deu hergebrachten Geleisen. Aber es giebt ja noch eine Anzahl von Menschen, die diesen Irrtum teilen, und so wird es auch Hofmanns Bildern nicht an andächtigen Beschauern fehlen. Seine Darstellungen sind erfüllt von echter Religiosität und atmen zwar keine erhabene, sondern eine milde, weiche, anmutige Schönheit, die aber doch nirgends ans Weichliche und Süßliche streift. In seiner vornehmen Ausstattung eignet sich dieser Cyklus vorzüglich zu einem Weihnachts-, Konfirmations- oder Hochzeitsgeschenke.
Berichtigung. Die am Schluß des Aufsatzes Von W. Ruprecht in Nr. 49 der Grenzboten angeführten Worte sind irrtümlich Herrn Adolf Kröner in den Mund gelegt worden; der sie sprach, war Herr Wilhelm Spemann in Stuttgart.
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.