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Kleinere Mitteilungen.
haft. Es ist gewiß hoch erfreulich, wenn der Großmeister unsrer Kunstwissenschaft sich herbeiläßt, den weitesten Kreisen gegenüber einmal selber das Wort zu nehmen. Man sollte meinen, daß es gar keinen bessern Lehrer des Volkes geben konnte als den, der so aus dem Vollen schöpft. Aber dabei entsteht doch eine Gefahr. Ein so bedeutender Fachmann wie Springer kann, er mag es vermeiden wollen oder nicht, nicht drei Zeilen schreiben, ohne immer etwas auch nach seinen Fachgenossen hinüberzublickeu. Und wirklich wird an dem vorliegenden Textbuche die größte Freude der Archäolog von Fach haben. Er wird es bewundern, wie Springer auf den wenigen Seiten den gewaltigen Stoff zusammengedrängt hat, wie er oft durch eine Zeile oder ein Wort verrät, daß er auch in den neuesten Forschungen zu Hause ist, wie treffend er in zwei, drei Worten das Wesentliche eines Kunstwerkes zusammenfaßt, welche Fülle feiner und eigentümlicher Bemerkungen er ganz beiläufig einstreut, und wie geschickt er den kunstgcschichtlichen Faden mit der doch nur äußerlich sich weitertastenden Tafclerläuterung zu verschlingen weiß. Aber der Laie wird mit dem Buche wenig anfangen können. Ihm werden auf jeder Seite Dutzende von Fragen entstehen, auf die er keine Antwort erhält. Der Verfasser setzt viel zu viel voraus — z. B. in antiker Geographie, Mythologie, Geschichte:c. —, was nicht vorausgesetzt werden kann, und er spricht infolge dessen sehr oft über die Köpfe hinweg. Auch der sprachliche Ausdruck hat unter dem unausgesetzten Bestreben, möglichst viel in möglichst wenig Zeilen zu sageu, möglichst viel beiläufig mit zu berühren und mit hereinzuziehen, gelitten. Die Grenzboten können wohl nicht in den Verdacht kommen, als ob sie einer seichten Popularisirerei das Wort reden wollten. Aber zwischen Popularisiren und Popnlarisiren ist ein Unterschied. Es giebt, gerade auch auf dem Gebiete 'der Kunstgeschichte, Schmierer, die ohne Sachkenntnis und Urteil ein „populäres" Werk nach dem andern zusammenschreiben. Es giebt aber doch auch tüchtige, urteilsfähige, geschmackvolle Schriftsteller, die, ohne sich gerade an selbständigen Forschungen zu beteiligen, doch ein gutes, zuverlässiges Buch schreiben und sich dabei durchaus auf den Standpunkt des belehrungsuchenden Laien versetzen würden. Einer von der letztern Art wäre zur Abfassung dieses Textbuches vielleicht geeigneter gewesen, als der namhafteste Fachmann.
Nochmals die Volksbühne. Von dem Verfasser des Lutherfestspieles, Herrn Dr. Haus Herrig, geht uns folgendes Schreiben zu (Friedenau, den 5. Dezember):
Mit großer Teilnahme habe ich in der letzten Nummer der Grenzboten den kleinen Aufsatz gelesen, in welchem Sie sich wiederum mit der Frage der „Volksbühne" beschäftigen. Es ist durchaus richtig, daß, sobald etwas in Deutschland gefällt, die Gefahr eintritt, daß die Sache verflacht wird und der bloßen „Mache" verfällt. Ja man hält dies wohl gar für notwendig, wie mir denn vielfach der Einwand entgegengehalten worden ist, woher denn die Stoffe für die Volksbühne kommen sollten — als ob es wünschenswert wäre, daß womöglich alle Monate ein paar Dutzend derartige Volksspiele erschienen!
Judessen es giebt auch noch eine andre Gefahr. Wenn der liebe Gott in Deutschland plötzlich eine neue Blume wachsen ließe, so würden ohne Frage die Botaniker kommen, sie ausreißen, auf das System hin prüfen und zu dem Ergebnis kommen, daß sie in die und die Klasse gehöre, also nichts neues sei, oder daß sie in keine Klasse passe, also nicht einmal als Uukraut gelten könne. Zeit, sich zu entwickeln und Samen anzusetzen, fände die arme Blume dabei nicht, in den Herbarien aber hätte man ein paar interessante trockne Blätter.