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Die soziale Frage im Reichslande. 2.
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Die soziale Frage im Reichslande.

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gelegenen 698 Arbeiterhcinschen sind 270 umgebaut worden. Verschont hiervon sind nur die an der Peripherie und die dem Mittelpunkte der Stadt am nächsten stehenden geblieben; hier wohnen aber keine Fabrikarbeiter, sondern Klein­bürger, die sich den Luxus eines nnr von ihnen und den Ihrigen allein be­wohnten Hänschens mit einem Gärtchen gestatten dürfen. Wenn man sagt, immerhin habe die Citc dahin geführt, wenigstens einigen hundert Proletariern bleibendes Eigentum zu verschaffen und sie teils als Vermieter, teils durch das Steigen der Grundrente Gewiunste erzielen zu lassen, so trifft das nur teil­weise zu. Krisen, Krankheiten und andre Störungen des Lohnbezuges haben viele Arbeiter veranlaßt, Hypotheken aufzunehmen, und nicht wenige der Cite- häuschen sind arg mit solchen belastet, ja manche sind bereits in den Besitz von Gastwirten oder Krämern übergegangen, bei welchen die arbeitslosen Eigentümer von früher zu borgen genötigt waren.Im günstigsten Falle verkauft der Arbeiter das Haus, in dessen Besitz er sich behauptet hat und dessen Wert im Verlaufe der Zeit gestiegen ist, mit Gewinn und zieht sich nach der Peripherie der Stadt zurück, um sein Wohnungsbedürfuis billiger zu befriedigen, als es in Anbetracht des luoruru oess^ns beim Nichtverkaufe des Hauses möglich wäre. So ist denn auch im ältesten Teile der Cits heutzutage der Arbeiter selten ge­worden. Das ideal gedachteSittehüsel" hat sich in einen Gegenstand des Handels und der Spekulation verwandelt."

Außerhalb der Arbciterstadt, die hier beleuchtet wurde, sieht es äußerst traurig aus. Trotz der in den letzten Jahren ziemlich lebhaft gewesenen Vauthcitigkeit sind die Mietpreise in Mülhausen maßlos hoch geblieben. Für eine Schlafstelle, d. h. für die Hälfte eines Bettes, werden 4 bis 4,50 Mark, für ein Dach­stübchen geringster Güte 5 bis 6, für ein Zimmer 10, für zwei 12 bis 18, für drei 14 bis 15 Mark monatlich bezahlt. Meist dient ein einziges Zimmer der ganzen Familie zur Unterkunft; denn der Arbeiter ist, über den gesundheitlichen Wert einer verhältnismäßig geräumigen Wohnung wenig aufgeklärt, fast stets geneigt, gerade an diesem Posten seines Budgets zu sparen. Und wie ist jenes Zimmer beschaffen? Treten wir mit Herkner in ein beliebiges Haus der Arbeiter­quartiere. Schon das vernachlässigte baufällige Äußere*) läßt Übles ahnen. Die Hausflur ist bis auf einen schmalen Durchgang mit Verschlügen zur Aufbewahrung von Feuerung verbaut. Die Treppen sind, um möglichst wenig Platz weg­zunehmen, schmal und steil angelegt. Alles starrt von Schmutz.Treten wir in eins der Zimmer, so gähnen uns kahle, meist weißgetünchte Wände entgegen, an die als einziger Schmuck einige rohe Farbendruckbilder, Christus, die Jung­frau Maria oder Heilige darstellend, angeklebt worden sind. Ein Schrank, ein paar wurmstichige, wacklige Stühle, ein mit ähnlichen Gebrechen behafteter Tisch, einige

*) In der Dicdcnheimer Straße stürzte im Frühjahr v. I. ein solches Haus, das noch bewohnt war, zusammen, im Uhrenhof brach im folgenden Oktober der Fußboden einer gleich­falls bewohnten Stube durch.