Eine Fahrt in den Grient.
von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.)
m neun Uhr morgens sahen wir die Mündung des Bosporus vor uns liegen, der bekanntlich Asien (Anatolien) von Europa (Rumelien), nicht aber die Liebe zu trennen vermag. Zwei Leuchttürme (Fencr) auf den beiden Ufern (daher Anatoli-Fener und Numeli-Feuer) würden kühne Liebende jetzt vor Gefahren schützen. Zuerst wirkt die Einfahrt nicht so überraschend, weil die Berge nicht hoch und unbewaldet, die Landschaft auch nicht belebt ist. Allmählich steigern sich die Wirkungen, wie sie leuchtende Sonne, himmelblaues Meer, marmorglänzende Paläste und dunkelgrüne Zypressenwälder hervorrufen können. Die Levantinerin setzte einen besondern Stolz darein, die erste zu sein, die uns die Lichtseiten ihres Vaterlandes zeigen konnte, uud so war es nicht schwer, daß wir uns in diesem Häusermeer, wo Dorf an Dorf sich ununterbrochen reiht und Palast mit Palast, Ruine mit Ruine wechselt, zurecht fanden. Mit diesem Eindruck, den die Natur auf die Sinne des Menschen übt, stehen aber in engster Verbindung die Gedanken, welche der geschichtliche Untergrund auf sein Gemüt äußert. Mir ist es nicht gegeben, eine Landschaft, und sei sie noch so schön, nur abstrakt zu betrachten, ich muß die Schicksale mit ihr verflechten, die einzelne Menschen oder ganze Nationen auf ihr durchlebt haben, und in dieser Hinsicht übertrifft der Bosporus gewiß alle Völkerstraßen von jener Zeit an, da ihm die in eine Kuh verwandelte Jo den Namen gab, da die Heere des Darius unter Datis und Artaphernes zwischen Numeli-Hissar und Anatoli-Hissar ihn überschritten, um die klassische Welt orientalischem Despotismus zu unterjochen, da Konstantin an diesen Ufern eine neue Weltmonarchie gründete, Justinian von hier aus Gesetze gab, die noch heute die Menschheit regieren, bis zu jenen