Beitrag 
Karl Friedrich Bahrdt : ein literarisches Charakterbild.
Seite
23
Einzelbild herunterladen
 

Aarl Friedrich Bahrdt.

23

Auch in Gießen selbst erregten dieOffenbarungen" großen Lärm, und dem Verfasser drohten ernste Unannehmlichkeiten, denen er lieber aus dem Wege ging. So nahm er denn 1775 mit Freuden den Ruf eines Herrn von Salis an, der in Marschlins in Graubünden ein Philanthropin errichtet hatte und ihm die Leitung desselben antrug.*) Aber auch diese Herrlichkeit währte nicht lange. Jener Herr von Salis scheint ein unbequemer Vorgesetzter gewesen zu sein, und Bahrdt seinerseits war ganz der Mann, auch das beste Institut im Handumdrehen zu verpfuschen. Nachdem er in den ersten Wochen lind Monaten für die Erziehungsanstalt marktschreierisch Reklame gemacht hatte, begann er endlich, nach seinem eignen Geständnis/"")über die Art und Weise nachzudenken, wie wenigstens etwas von dem Plane, den er der Welt vorgelogen hatte, realisirt werden könnte." Aber mittlerweile war das gegenseitige Mißtrauen und die Spannung zwischen ihm und Salis bereits so weit gediehen, daß an einen Erfolg des Instituts nicht mehr zu denken war, und so teilte dann das Bahrdtsche Philanthropin, wie Schummel imSpitzbart" spottete, das Schicksal der gar zu klugen Kinder und ging in seiner schönsten Blüte den Weg alles Fleisches. Aber noch kurz vor Eintritt der Katastrophe konnte Bahrdt sich selbst in Sicher­heit bringen, indem er einer Berufung des Grafen zu Leiningen-Dachsburg zur Generalsuperintendentur zu Dürkheim an der Haardt Folge leistete.

Auch hier dieselbe Geschichte: rasch war er auch hier durch Leben und Lehre gründlich anrüchig geworden. Ein Dogma nach dem andern hatte er abgestreift, den ganzenpositiven Kram," um seinen eignen Ausdruck zu gebrauchen, von sich geworfen, und da es dem rcklamesüchtigen Generalsuperiutendenten Lebens­bedürfnis war, Aufsehen zu erregen und von sich redeu zu machen, so geberdete er sich immer lärmender, suchte immer geflissentlicher herauszufordern uud zu reizen. Auch durch seine pädagogischen Erfahrungen war er nicht klüger ge­worden. An dem Zusammenbruche des Philanthropins zu Marschlins war natürlich nur der selbstherrliche und knickerige Herr von Salis Schuld gewesen; hätte Bahrdt nur einmal freie Hand, so wollte er schon der Welt zeigen, wie eigentlich ein richtiges Musterphilanthropin aussehe. Der Graf war anfänglich dem Plane geneigt und bewilligte seinem Generalsuperiutendenten das unweit Dürkheim gelegene Schloß Heidesheim, in welchem dieser alsbald seine Residenz aufschlug. Mittel waren nicht vorhanden, uud so wurden frischweg Schulden gemacht, um das Schloß als Erziehungsanstalt herzustellen, Lehrer und Köche zu mieten und alles auf einen großen Fuß einzurichten. Alles war bereit, nur die erhofften Zöglinge wollten nicht kommen. Mit Mühe und Not und mit

höflich und zutraulich; er scherzte über den Prolog und wünschte ein freundliches Verhältnis." Bahrdt seinerseits zog es vor, in seiner Selbstbiographie seine Beziehungen zu Goethe völlig zu verschweigen.

*) Über Bahrdts pädagogische Thätigkeit vcrgl. Leyser, K. Fr. Bahrdt. Neustadt, 1867. **) Lebensbeschreibung III, S. 6.