Der evangelische Bund.
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macht der Mut eines Mannes, der auf die Gefahr hin, seine Braut zu verlieren, den berüchtigten Revers nicht unterschreibt, mehr Eindruck als das Zeugnis beredter Professoren, und den zwingenden Lebensverhältnissen gegenüber, welche zur Untreue an der evangelischen Kirche verleiten, der trägen Gleichgiltigkeit gegenüber bleibt der schönste Artikel wirkungslos, besonders wenn er nicht gelesen wird. Und darüber soll man sich keinen Täuschungen hingeben. Wenn sich ein Verein zusammenthnt, eine Zeitung unterstützt oder herausgiebt, so ist damit noch lange nicht erreicht, daß diese Zeitung in die rechten Hände kommt oder überhaupt ernstlich gelesen wird. Man lege nicht allzugroßen Wert auf die Presse. Wenn auch der Einfluß einer schlechten Presse nicht zu leugnen ist, so muß man doch berücksichtigen, daß eine gute Presse nicht eine entsprechend große Kraft hat. Denn Worte, welche den Übeln Regungen des Lesers schmeicheln, finden viel leichter Eingang als solche, welche jene Übeln Regungen bekämpfen. Wichtiger und erfolgreicher als die Schrift ist die fortgesetzte persönliche Beeinflussung.
Der mehrerwähnte Aufruf nimmt auch die Bildung von Zweig- und Ortsvereinen in Aussicht; nach unsrer Meinung liegt in der Bildung solcher Gruppen die Hauptaufgabe des Bundes. Hier müßte angefangen werden; das ist wichtiger als Organisationen des Großen und Ganzen, welchen der thatsächliche Untergrund fehlt. Man muß doch jedes Gebäude von unten nach oben bauen. Freilich wird es schwer sein, die richtige Form der Sache und thätige Arbeiter zu finden. Man darf auch diese Arbeit nicht wieder dein schon mit allen möglichen Dingen belasteten Geistlichen zuweisen; man muß vermeiden, daß die örtlichen Vereinigungen eine unangenehm geistliche Färbung annehmen oder daß sie zu bloßen Beitragsvereinen werden. Man muß ihnen ihre Aufgaben planmäßig zuteilen, etwa in der Weise, wie es bei den vaterländischen Frauenvereinen der Fall ist, uud man muß diese Aufgaben klar von denen des Gustav- Adolf-Vereins oder der innern Mission abgrenzen.
Dies sind unsre Bedenken und Wünsche, die wir im Interesse der Sache glaubten rückhaltlos aussprechen zu sollen. Umso lebhafter stimmen wir jenen Bestrebungen zu, welche darauf gerichtet sind, innerhalb der evangelischen Kirche das Band der Gemeinschaft zn knüpfen und zu befestigen. Wenn der evangelische Bund weiter keinen Erfolg hätte als den, daß er gegenüber der Zersplitterung der Kräfte, dem Parteiprogramm, der Scheidung von Landes- und Provinzialkirchen die Einheit und Zusammengehörigkeit aller Anhänger des evangelischen Bekenntnisses zur Geltung brächte, so wäre dieser Erfolg so groß und segensvoll, daß er alle aufgewandte Mühe reichlich lohnen würde.
m. A.