Zu dem jüngsten Entwurf eines Prozeßkostengesetzes.
353
als er zu beweisen scheint, daß die Justizgesctzgebung, so wie sie aus der Organisation des Jahres 1879 hervorgegangen ist, noch nicht der Stagnation verfallen ist. Der Entwurf knüpft an die wiederholten Beschlüsse des Reichstages an, welche zu einer Ermäßigung der Gerichtskvsten und Revision der Anwalts- gcbllhren gedrängt hatten. Dabei gingen jedoch die verbündeten Regierungen von der Ansicht aus, daß, nachdem die Gerichtskosteu bereits durch das Gesetz vom 29. Jnni 1881 eine Ermäßigung erfahren haben, eine weitere Ermäßigung von solchen unthunlich sei, weil überhaupt die Gerichtskvsten in Vergleich mit den früheren (preußischen) nicht wesentlich gesteigert seien, weil die Ermäßigung vou 1881 schon einen erheblichen Ausfall herbeigeführt habe, und weil die nicht unbedeutend gestiegeneu Kvstcu der Rechtspflege schvn jetzt nur zum geringsten Teile durch die für bürgerliche Rechtsstreite bezogenen Gerichtsgebühren gedeckt werden. Abgesehen von einer einzelnen, für die Berechnung von Gebühren maßgebenden Abänderung des Gerichtskostengcsetzes, beschränkte sich daher der Entwurf anf eine Revision der Anwaltsgebührenordnung. Auch hier wollte es derselbe bei der Hanptgrnndlage des früheren Gesetzes, der hohen Gebührenskala, lassen. Nur da, wo man in bestimmten Gebührensätzen ein Übermaß erkannte, wvllte man dieses abschneiden.
Diese beabsichtigte Minderung der Gebühren, so maßvoll sie auch war, hat gleichwohl iu Anwaltskreisen die lebhafteste Agitation wachgerufen. Viele Blätter haben dem Widerspruch der Anwälte gegen jede Gebührenherabsetzung ihre Spalten geöffnet. Die Vorstände der Auwaltskcnnmern sind zusammengetreten nnd haben die geplanten Änderungen fast in allen Beziehungen für unannehmbar erklärt. In einer ausführlichen Denkschrift ist dieses Ergebnis begründet worden. Die Begründung läuft im wesentlichen darauf hinaus, daß die Anwälte ohne die Gebühren in ihrer jetzigen Höhe nicht bestehen könnten.
In dieser Lage hat die Angelegenheit durch Auflösung des Reichstages vorerst eine Unterbrechung erlitten.
Der geschichtliche Gang der Entstehung unsrer Kostengesetze ist in dieser Zeitschrift (Jahrgang 1383, Heft 38 und 39) schon einmal ausführlicher dargestellt worden. Für die Beurteilung der gegenwärtigen Sachlage dürfte es sich lohnen, nn die wesentlichsten geschichtlichen Momente nochmals zu erinnern. Die Grundlage dieser geschichtlichen Betrachtung entnehmen wir allerdings nur aus den Verhältnissen Preußens. In Prenßen beruhten die Gerichts- und Anwaltsgcbühren auf gleichzeitig erlasseuen Gesetzen vvm Mai 1851. Die Gebühren waren nicht gering. Aber sie hatten den Vorzug, daß sie in ihrer dem Werte des Streitgegenstandes sich eng anschließenden allmählichen Steigerung ein hohes Maß von Gerechtigkeit in sich trugen. Was insbesondre die Anwaltsgcbühren betrifft, so ist es notorisch, daß sie einer großen Anzahl von Anwälten eine durchaus anständige Lebensstellung gewährten, ja daß einzelne Anwälte unter ihrer Herrschaft sehr wohlhabende Leute geworden sind. Im
Grenzboten I. 1887. 4S