134
cLrich Schmidts Charakteristiken,
hat den ernstesten Hintergrund: Raimund und Grillparzer schauen iu der Schön- brnnner Menageric den verwegenen Tnrnkiinsten der Affen zu; »Sie, das ist schwer«, sagt Raimund gewichtig, und Grillparzer erwiedert: »Hat's Ihnen wer geschafft?« Naimnnd läßt sich alles, was er nicht kann, imponiren, sogar die Gaukelei und Schcinkelei der Paviane und Meerkatzen. Auch davvr hat er allen Respekt und macht große Augen. Das »Schwere« aber, das er gar zu gern leisten möchte, ist ein Drama hohen Stils. »G'sthcifft« hat ihm das uiemand außer dem »ach erhabenen Ehren lechzenden Dämon in seinem Innern. Während Grillparzer mir an Aufgaben geht, die er lösen kann, hat sich Raimund die Brust an Aufgaben, denen seine Kraft und Wildling nicht gewachsen war, wund gerungen. Für uns bedeuten »Alpcnköuig und Menschenfeind« und der »Verschwender« Gipfel, für ihren Schöpfer nicht. Höher hat er emporgestrebt und war gesunken. Die Trininphe auf der Vorstadtbiihue gewährten ihm kein freudiges Vollgefühl künstlerischen Vermögens."
Ueber Berthold Auerbach berichtet Erich Schmidt in zwei Cbarakteristiken; die erste ist ein Nekrolog, der aus persönlichem Verkehr den Dorfgeschichtenschreiber sin« irs. st stnäio schildert; die zweite eine Studie über Auerbachs Briefe an seinen Onkel Jakob. In diesen Briefen hat der Dichter selbst eine ausführliche Beichte über alle seine Handlungen unmittelbar abgelegt, und da er ein Mensch war, der viel über sich selbst grübelte, so legte er dem Essayisten selbst den Angelpunkt dar, von dem sein Charakter nnd seine Produktion erklärt werden könnten. Schmidt schreibt: „Die Naturwissenschnft nennt es Atavismus, wenn Eigentümlichkeiten der Vorfahren mit Ueberspringuug ganzer Generationen bei den Enkeln wieder hervortreten. Solche Erscheinungen sind anch dem geistigen Gebiete nicht fremd, und Auerbachs Weseu läßt sich atavistisch begreifen: »Der leichtlebige lustige Musikant von mütterlicher und der ernst vornehm grüblerische Rabbi von väterlicher Seite, das ist eine seltsame Mischung.« Eine Fülle von Beobachtungen ist diesem einmal erkannten Dualismus iu dem Sohne des Nordstetter Hausirers abzugewinnen." Schmidt charakterisirt mit Eindringlichkeit diese reiche Dichterpersönlichkeit und betont mit Nachdruck seine deutschucitionale Gesinnung.
Schwieriger war dieser Angelpunkt bei einem Dichter wie Storni zn finden, der selbst in seiner Lyrik verschwiegen ist und sonst auch nicht von sich spricht, und dessen dichterische Motive von großer Mannichfclltigkeit sind. Offenbart er doch gerade jetzt in seinem vorgerückten Alter eine uene Steigerung seines Könnens. Dennoch hat Schmidt, der allerdings auch persönlich mit dem Dichter genau vertraut ist, auch hier einen treffenden Ausgangspunkt für seine Charakteristik gefunden. Von dem in Nvrddentschland mehr als im Süden verbreiteten Sinn für die Poesie des Hanfes geht Schmidt ans: „Theodor Storni ist ein Sohn der kleinen schleswig-holsteinischen Stadt Husum und stammt mütterlicherseits ans einer daselbst alteingesessenen Familie. In solchen nordischen Häusern giebt es keinen raschen Wechsel, sondern eine langlebige Generation löst die andre sacht ab. Alte Traditivueu werden sorglich vererbt, wie Kästchen und Truhe die Halskette und das Brautkleid der Urahne bewahren; jedes Geschlecht erzählt dein folgenden seine Erfahrungen; nicht nur im Bilde bleibt der Geschiedene den Nachgcbvrncn nahe; ernste nnd heitere Geschichtchen, gewichtige oder scherzhafte Aeußerungen bleiben nicht aus. Ein starkes Familieugefühl und eine feste Freundschaft erzeugen fort und fort eine m besten Sinne gemütliche Geschlossenheit. Pietät, Treue, Andacht auch für