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Die heilige Magdalena von Witscht :
(Fortsetzung.)
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Die heilige Magdalena von Witscht.

heimnisvoll die Wege der Gnade sind, und wie es wahr ist, was geschrieben steht, daß der Geist weht, wo er will. Nicht der mit den günstigsten Talenten dazu ausgestattete geniale Sebastian wurde zur Heiligkeit erwählt, auch nicht die Schwester Frcmziska, deren krummes Maul nach menschlichen Begriffen dazu sehr förderlich hätte seiu müssen, sondern die Jüngste mit rötlichen Haareu, mit rostigen Sommersprossen in dem blassen Gesicht, die Madlenc, ein ganz gewöhnliches Mädchen, ein hübsches Ding, wenn man will, aber von allem außerordrutlicheu so weit entfernt, als ihrer Zeit die noch berühmtere Heilige dieses Namens von der Keuschheit. Ein sanfter, schwärmerischer Glanz lag in ihren blaßblaueu Augen. Aber dieser eine Umstand macht das Wort des Pro­pheten: Ich lasse euch die Magdalena zurück! nicht begreiflich.

Die Wirkungen dieser Worte wurden bereits angedeutet, sie waren doppelter Art, inuerliche und äußerliche. Juuerlich, d. h. im Geiste und Denken aller Oschwaldiauer, vollzogen sie sich wie ein Schlag. Gestern war Bühelfranzens Madlene noch ein Banermädchcn wie hundert andre, vielleicht ein bischen hübscher nnd zarter, aber sonst nichts mehr und nichts weniger; hente war sie eine Auserwählte Gottes und seines Propheten, eine im Geist Gesalbte des Herrn.

Aeußerlich ging die Metamorphose langsamer. Bon Oschmalds Weggang in ein besseres Ozean-Jenseits, worauf die Magdalena zuerst anfing, sich durch bessere Kleidung und bald darauf durch besseres Essen nnd Trinken von ihrer Umgebung zu unterscheiden, bis zu dem Augenblicke, wo sie ans erhabenem Throne sitzend, mit dem Hermelin bekleidet, in Anwesenheit einer großen Schaar von Anhängern sich vom heiligen Josef feierlich die zu Frankfurt am Main, dem letzten KrvnnngSvrte des weiland Heiligen Römischen Reiches, geschmiedete goldene Krone aufs Haupt setzeu ließ, vergingen Jahrzehnte.

Diese Krönung fand wirklich statt, nnd bei der spätern Erbschaftsangclegenheit erregte das Diadem, für welches ein ungeheurer Preis bezahlt worden war, unter den damit beschäftigten Personen das meiste Aufsehen. Wenn ich nicht zu ermüden befürchtete, würde ich eine vom Notar W. in K. gemachte Abschrift der ins einzelne gehenden Goldschmiedsrechnung hier einrücken. Und als was ließ die weiland Bühelfranzens Madlene sich krönen? Ich muß gestehen, ich weiß es nicht. Sie betrachtete sich zwar als Hauptmithelferin bei der bevor­stehenden Gründung destausendjährigen Reiches"; aber nicht eine Frau sollte darin die höchste Würde bekleiden, sondern Papst und Kaiser. Doch vielleicht fühlte sie sich als die mystische, uur von wenigen Erleuchteten anerkannte Ver- wahrcrin und Verweserin der Kaiserwürde in der Zeit des einstweiligen Inter­regnums. Vielleicht sollte die Krone auch nur ein Shmbvl der Aureole sein.

Die heilige Madlene hatte unterdessen ihre Svmmerflecken verloren, ging auch an Werktagen in Samt nnd Seide und als Jungfrau in den hellsten Farben. Aber sie war uicht schöner, sondern nur dicker nnd fetter geworden, und dies nach und nach so sehr, daß sie kaum mehr gehen konnte und in einer Sänfte getragen werden mußte. Zu verwundern war es nicht, sie arbeitete nichts, machte sich wahrhaftig nicht allzutiefe Gedanken und und trank als mystisches Symbol des ganzen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Und ihre Mittel erlaubten ihr das, weun anders diese banale Redensart in Beziehung auf so heilige Dinge gebraucht werden darf. Und das kam so.

Oschwald hatte die Armut als wesentlichste Bedingung zur Heilsvollkvmmcn- heit aufgestellt, und die heilige Madlene hielt an dieser Lehre natürlich sest. Es folgte daraus, daß die besitzenden Anhänger der Heiligen, um den Ernst ihrer