88 Lin Kapitel deutscher Lyrik.
Wenden wir uns zn Gedichten, die zum andern- oder erstenmale nm Hörer und Leser werben, so begegnen wir zunächst dem Büchlein Deutsche Elegien von Stephan Milow (Stuttgart, Adolf Bonz), die schon früher als Elegien- eyklns „Ans der Scholle" erschienen sind und gegenwärtig vielfach vermehrt und verändert vorliegen. Offen gesagt, wurde uns der ursprüugliche Titel besser behagen, der neue kehrt eine unberechtigte Spitze gegen Goethes „Römische Elegien," denen doch Milow in Form »nd Vortrag gcnng abgelauscht hat, um dankbar bleiben zu müssen. Der Gegensatz liegt darin, das; Milow das Glück an der Seite seines Weibes und Kindes besingt:
Schweifet jedoch mein Blick weitaus in die blühenden Fluren, Macht mich die Fülle verwirrt, welche die Rnnde mir zeigt.
Alles verschwimmt mir im Kreise, ein Wallen und Weben nur seh' ich, Welchem, die Klarheit fehlt, ob es auch mächtig bewegt,
Und dann wend' ich das Auge zurück in die Schranke des Hanfes, Wie aus verlockendem Trnum heim in cm sicheres Glück. Das einfache Glück, dem der Dichter so lebendige und farbige Bilder abgewinnt und so sinnige Worte leiht, sei ihm von Herzen gegönnt, und mich das Büchlein seiner Elegien sei gebührend hervorgehoben, ohne daß uns darum diese deutschen die „Römischen Elegien" verleiden sollen.
Eine frische, zuversichtliche Natur und ein entwicklungsfähiges Talent spricht ans den Gedichten Trotz alledcm von Johannes Proclß (Frankfurt a. M, I. D. Sauerländer). Zwar will sich in den „Zeit- und Streitgedichten" dem junge» Dichter die klangvolle Rhetorik nicht überall in wirkliche Poesie verwandeln, es bleibt vielfach ein Nest von Prosa, der nicht ganz in Empfindung, Bild und Klang aufgeht. Anch kräftige, gute Gebauten werden durch Rhythmus und Reim allein noch nicht zn poetischen Gedanken, und selbst die echte poetische Empfindnng kaun durch eine einzige rein rednerische Wendnng gefährdet werden. Viele der kleinen Proclszschcn Gedichte klingen auch allzusehr cm Hciue an. Aber wo der Dichter ganz er selbst ist, wo er entweder einer allgemeinen Jugendsehnsucht glüheudcn uud frischen Ausdruck giebt, wie iu dem Gedichte „Unter den Rosen," oder ein Stück völlig eignen Erlebens poetisch festhält, wie in dem prächtigen Ständchen „Lösche das Lichtlein, Träumerin," in den Volvo f-rr iriouto überschriebeueu Liedern von der Hochzeitsreise, in dem echten Liede „Die Liebe will gegeben, nicht mir empfangen sein," in dem schalkhaften „Nur ein Mädchen," in dem von blühendem Lcbeu uud wehmütiger Eriuncruug durchhauchtcu Gedicht „Am Stammtisch Hornfccks," da findet er Bilder und Weiseu, die völlig ueu sind; auch iu den Lebensbildern und Balladen regt und rührt sich ein Geist, der das Leben auf sciue besondre Weise erfassen und gestalten will.
Ein Nenes Bnch der Lieder von Panl Baehr (Bad Oeh»Hausen, Jbershoffsche Buchhandlung) gewinnt nns durch die unzweifelhafte Wahrheit der subjektiven Empfindnngen des Verfassers, der, ein Leidender uud Schwergeprüfter, dank einer glücklichen Häuslichkeit einer durchaus lichten und dank-