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Die englische Ministerkrisis.
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Die englische Ministerkrisis.

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dagegen, der neulich in Dartford sagte, das Ministerinn: könne sich für seine Aufgaben in Irland und auswärts die Unterstützung der öffentlichen Meinung nur durchEinführung offenkundig demokratischer Maßregeln" gewinnen, trat für einen noch unter Gladstonc von den Demokraten Dilke nnd Chcunberlain ausgearbeiteten Gesetzentwurf ein, nach welchem die Verwaltungsbehörden lediglich von den Steuernden gewählt werden sollen. Er mag damit richtig gesehen haben; denn Englands öffentliche Meinung ist in deu letzten Jahrzehnten ent­schieden demokratischer geworden, und ein Ministerium, das sich halten will, hat darauf Rücksicht zu nehmen. Die konservative Partei besteht nicht mehr aus Landedelleuten, sie stützt sich zum guten Teil auf die städtische Demokratie und auf die Möglichkeit, auch die ländliche zu gewinnen, und wenn Lord Scilisbury den Mißgriff begehen wollte, einen Gesetzentwurf einzubringen, der weniger liberal wäre als die seiner Vorgänger im Amte, so wäre sein und seiner Kollegen Schicksal entschieden. Das ist nicht erfreulich, aber Thatsache. Ein konservatives Ministerium in England, welches am Nuder zu bleiben wünscht, muß sich zu Zugeständnissen an den von Amerika herübergewehten demokratischen Geist ent­schließen. Bereits scheint Chcimberlain, der Vertreter dieses Geistes, Churchills Rücktritt alsZeichen zu betrachten, daß die alten Torh-Einflüsse im Kabinet die Oberhand gewonnen haben, uud daß man einer Tory-Regierung Auge in Auge gegenüber stehen werde, deren Vorschläge kein gesinnungstüchtiger Liberaler unterstützen kann," woran er die Andeutung knüpfte, man werde sich dann wieder Gladstone zuwenden müssen.

Außer den genannten beiden Punkten hat ohne Zweifel auch Churchills Stellung zur irischen Frage zu seinem Rücktritte beigetragen. Er hatte sich mit den Isländern mehr eingelassen, als es den Gegnern des Homerule ge­fallen und passen konnte, und wenn das Kabinet sich jetzt mit der Absicht trug, denFeldzugsplan" der Parnellitcn mit Gcwaltmaßregeln zu vereiteln, so hat es damit sicherlich beim Exschatzkanzlcr lebhaften Widerspruch hervorgerufen. Nicht wahrscheinlich dagegen ist die Vermutung, daß auch Meinungsverschieden­heiten hinsichtlich der auswärtigen Politik den letztern zur Fahnenflucht bewogen haben köuuten. Vielmehr dürfen wir annehmen, daß die Meinung, die trotz aller kriegerischen Gesichter, welche gelegentlich von den offiziösen Blättern in London gemacht werden, in allen Schichten der englischen Be­völkerung weitaus vorherrscht, sowohl von Salisbury als von Churchill geteilt wird. Diese Meinung aber lautet kurz gefaßt folgendermaßen: Es ist die Pflicht und das Interesse Englands, die bulgarische Frage so lange unangetastet zn lassen, bis Österreich uud Deutschland Farbe bekannt haben. Wir dürfen nicht znerst, auch nicht an zweiter Stelle ausspielen und nur äußerstenfalles an dritter. Geht ihr voran, ihr auf dem Festlcmde, und siegt für uns, oder laßt euch schlagen statt unser. In beiden Fällen werden Handel und Industrie bei uns insofern profitiren, als sie bei euch stocken und leiden.