Beitrag 
Literatur.
Seite
46
Einzelbild herunterladen
 

46

Literatur,

Vorschrift setzt alle Lehrer des Deutschen, die genötigt sind, ihr nachzugehen, in nicht geringe Verlegenheit, Was die an Schulen eingeführten Gedichtsammlungen an poetischen Erzengnissen ans der Zeit der Freiheitskriege enthalten, läßt sich im Unterrichte bequem in vier Wochen abthnn. Um also den Stoff cmf ein halbes Jahr brcitznziehen, greift man zu allerhand Anskunftsmitteln: man erzählt die Lcbcnsgeschichte Arndts, Körners, Scheukendorfs mit solcher Ausführlichkeit, daß, wenn man später Lessings, Goethes uud Schillers Leben mit der entsprechenden Breite behandeln wollte, man gut und gern zehn Schuljahre darauf verwenden könnte; man liest Gedichte vor, die nicht in der eingeführten Schnlsammlnug stehen; man verbreitet sich über die Geschichte der Befreiungskriege; man zieht die gleichzeitige Volksdichtung, die sich bei Ditfnrth gesammelt findet, mit heran; man schmuggelt den Dramatiker Körner mit ein, an den die ministerielle Vorschrift ganz gewiß nicht gedacht hat, n, st w. Dieser Verlegenheit will nnn das vorliegende Bnch abhelfen. Es enthält etwas über hundert chronologisch geordnete Lieder aus den Freiheitskriegen, und der Heransgeber meint, daß im Unterrichte eine, wenn auch knappe, so doch immer zusammenhängende Erzählung der Ereignisse den fort­taufenden Faden bilden müsse, an welchem die Lieder aufzureihen seien.

Wir halten dieses Anskunftsmittel für ebenso verfehlt wie die ganze Vvrschrift, deren Ausführung es erleichtern will. Wenu mau sich fragt, wie viele von diesen mehr als hundert Gedichten wert sind, von den Jungen kennen gelernt nnd in der Schule gelesen zn werden, so muß man, wenn man ehrlich sein will, sagen: kaum zwei Dntzend; diese stehen aber in unsern Sclutlsammlungcn, die andern sind Ballast, Und diesen Ballast sollen die Jungen nun wieder kaufen, um ihren ohnehin mit Leitfäden, Handbüchern, Lehrbüchern n, f. w. vollgepfropften Nauzeu noch mehr anzufüllen!

Die Schule mag darauf hinarbeiten, daß die verkehrte Vorschrift, die unsers Wissens ziemlich jung ist, wieder beseitigt werde. Das ist das Richtige. Der deutsche Unterricht hat in unsern hoheru Schulen wahrlich nötigeres zn thun, als dem Ge­schichtsunterricht die Erzählung der Freiheitskriege abzunehmen und die Zeit mit dem Erklären und Einprägen unbedeutender Gedichte hinzubringen. Der immer mehr um sich greifenden Verwilderung unsrer Sprache, die von der Tagespresse ausgeht, mit aller Macht entgegenzuarbeiten durch einen zusammenhängenden, gründlichen uud geschmackvollen grammatischen Unterricht in den mittlern und obern Klassen, damit die Jugend gefestigt und gefeit gegen alle Sprachsndelei aus der Schnle hinaustrete, dies scheint nns augenblicklich die dringlichste Aufgabe des deutschen Unterrichts zu sei», und eine mindestens ebenso patriotische, als die Jungen mit alle« Onkeln nnd Tanten von Ernst Moritz Arndt bekannt zu machen.

Bvr Zeiten. Novellen von Theodor Storni. Berlin, Pactcl, 1886.

Theodor Storm gehört zu den wenigeu auserlesenen Dichtern, die mau um so lieber gewinnt, je öfter man ihre Werke liest. Seine Art ist nicht eigentlich populär, sie reißt uicht bei der ersten Bekanntschaft, die man mit ihr macht, gleich hin, sie kommt nicht pikant, verlockend entgegen. Im Gegenteil, sie will einen ganz uud gar gleichgestimmten Leser, einen, der andächtig nnd mit gespanntem Ohre lauschen kann; dann aber fesselt sie ihn auch mit Kraft, Man kann nicht treffender diese keusche, einsame und auch eigenwillige, in sich selbst cingesponnene Muse bildlich darstellen, als es in jener bekannten Titelvignette geschieht, welche die einzelnen Bände der Gesamtansgabe der Schriften Storms ziert: ein junges,