494
Ans der Lhronik derer von Riffelshansen.
Nun, meinte Julie, ich sehne mich dnrchans nicht nach dieser Kenntnis. Meine Familienliebe macht mir gerade genug zu schaffen. Zwei Brüder und eine Schwester mit rvsa Bändchen auf die Seele gebunden, dn bleibt nur keine Zeit für Pfarrer, Schnllehrer, Pachter u. s. w. übrig. Darüber fällt mir ein, ich könnte wohl einmal mit des Mvvsdorfer Pächters Sohn, dem laugen August, der jetzt Einjähriger ist, anbändeln. Was mciust du?
Mathilde lachte. Sage einmal, begann sie nach einer Weile stockend, weißt du eigentlich — wie er mit Vornamen heißt?
Karl heißt er.
Ach nein, Julie!
Doch, Karl. Es thut mir leid, daß ihn seine Eltern nicht Udo oder Waldemar getauft haben, ich kann aber nichts dafür.
Indessen wurde die Feldfrucht eingebracht und das Erntefest gefeiert. In der Kirche hielt Pfarrer Goldner einen Dankgottesdienst, und der Vorschneider, begleitet von mehreren jüngeren Schnittern, brachte einen mächtigen Erntekranz nach dem Herrenhause, wofür er die beiden jungen Fräulein zu einem Tänzchen in die Schenke entführen dnrfte.
Noch war die Lnft warm, aber die kahlen Stoppeln verliehen der Landschaft ein herbstliches Aussehen. An den Mauern reiften laugsam die grüueu Trauben, und Fräulein Cäcilie fertigte Papicrdütcn an und Musselinsäckchen, um die süßen Beeren vor den Wespen zu schützen.
Irgend eine glaubwürdige Person hatte Fran von Scheffliugen prophezeit, daß es bald einen garstigen Winter geben würde. Daraufhin kam sie eines schönen Tages nach Siebcnhofen gefahren und erneuerte ihren Vorschlag betreffs der Schweizerreise.
Tante Cäcilie äußerte sich bestimmt gegen diesen Vorschlag. Bleibe im Lande und nähre dich redlich, sagte sie. Ich sehe nicht eiu, wozu das Herumfahren in der ganzen Welt führen soll. Am letzten Ende verliert so ein junges Ding nur den Sinn für die Heimat.
Aber Georg war andrer Meinung und ging auf den Plan der Nachbarin ein.
Mathilde verließ Siebenhvfen nicht gern. Was sollten ihre armen, kranken alten nnd jungen Schützlinge ohne sie beginnen? Julie versprach zwar bereitwillig, sich aller anzunehmen, und versprach immer von neuem, wenn Mathilde sich wieder besondrer Schützlinge erinnerte.
Seit dem kurzen Gespräch mit ihrem Onkel hatte Mathilde den Pfarrer von Trübensee nicht wiedergesehen. Einmal nur, als sie nach der Pfarre ging, um den kleinen Hans abzuholen, der sich bei ihr zuweilen mit der Anfertigung eines geklebten Bilderbuches beschäftigte, hatte sie durch das offene Fenster Nichters Stimme vernommen, worauf sie ans der Stelle umkehrte. Der junge Geistliche aber war ans Fenster getreten und sah, wie sie leise den Hof verließ. Ob sie wiederkommt? dachte er. Sie kam nicht.
Wahrhaft erstaunliches leistete Julie in der Toilettcnfrage — natürlich mußte Mathildeus Garderobe einer gänzlichen Umänderung unterworfen werden.
Julie besaß iu derlei Sachen eine Geschicklichkeit, auf die billigste Weise alles erdenkliche herzustellen, die ihr lange schon den schmeichelhaften Beinamen: die Hexe eingebracht hatte.
Wenn ich nur halb so schlau wäre wie du! sagte Mathilde bewundernd, als Julie einmal wieder aus kleinen Nummelshäuser Läden Stoffreste herbeigeschafft hatte, die „schon wieder modern" waren.