Aus der Chronik derer von Riffelshausen.
Erzählung in zwei Büchern von Margarethe von Bnlow.
(Fortsetzung,)
Aebeuunddreißigstes Aapitel.
m Sonntcig Morgen rückten die erwarteten Trübenscer ein, nämlich Frau von Schcfflingcn mit Sohn und Tochter. Frau von Schefflingen ließ besonders über Baron Georg die Sonne ihrer Gnade leuchten. Sie kommen nicht zu uns, sagte sie fast schelmisch, wenn man also einmal mit Ihnen sprechen will, muß man sich selbst auf den Weg machen, das wissen wir schon. Georg fühlte sich natürlich außerordentlich geehrt, und die Nachbarn unterhielten sich so lebhaft, daß man fast den rechten Zeitpunkt zum Kirchgang versäumte, und auch wirklich erst in der Kirche anlangte, nachdem die fromme Gemeinde bereits ein zwölfversiges Lied über die Tugend und den gottseligen Wandel abgesungen hatte.
Als Pfarrer Goldncr auf die Kanzel stieg, warf er einen Seitenblick auf den herrschaftlichen Kirchenstuhl und uahm, da er mit der Besetzung zufrieden war, keine weitere Notiz von den Gästen, sondern jammerte nach Herzensbedürfnis über das neunzehnte Jahrhundert und die Verdorbenheit des jetzigen Geschlechtes, insonderheit über die Sozialdemokraten, die in allen Schichten der Gesellschaft wühlten.
Er entäußerte sich dieser Jercmiaden mit großem Eifer nnd machte dazwischen kurze Pausen, in welchen er aus dem Hintergrunde seines im Rokoko- geschmack verzierten Kauzelgchäuses die Versammlung zerschmetternd ansah.
Die Bauern machten mürrische Gesichter. Sie meinten, der Herr Pfarrer schimpfe immer, nnd glaubten unter dem immer wieder angeklagten neunzehnten Jahrhundert mir sich selber verstehen zu müssen. Darum konnten sie auch den armen, sorgengepeinigtcn Pfarrherrn nicht leiden.
Das Schimpfen abgerechnet, sprach Goldner mehr pathetisch als klar. Die Gedanken, die er zu Tage förderte, waren häufig paradox, und es gehörte GrenzbotmIV. 1886. 62