Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Rleist.
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zu Plan, von Versuch zu Versuch jagen, ohne ihn doch einer befriedigenden Lösung zuzuführen.
Gleich der erste Brief, in dem er um Wilhelminens Hand anhält, ist charakteristisch iu dieser Beziehung. Er schreibt, daß er „bereits" entschlossen sei, sich für ein Amt zu bilden, daß er sich aber noch nicht für ein bestimmtes Fach habe entscheiden können. „Ich wende jede müßige (!) Stunde zum Behufe der Überlegung über diesen Gegenstand an. Ich wäge die Wünsche meines Herzens gegen die Forderungen meiner Vernunft ab; aber die Schalen der Wage schwanken unter den unbestimmten Gewichten." Also von einer Vorliebe für irgend einen praktischen Berns ist nicht die Rede; was wir den Unentschlossenen betonen hören, sind wieder nur die Wünsche seines Herzens, die das Gegenteil von dem wollen, was die Vernunft verlangt. Nicht weniger als fünf Fächer sind es, zwischen denen er hin- und herschwankt. Die Rechte verwirft er: „Nicht die schwankenden, zweideutigen Rechte der Vernunft will ich studircn; an die Rechte meines Herzens will ich mich halten." Dann spricht er von dem diplomatischen Fach, das ebensowenig Gnade vor ihm findet. Eher wäre das Finanzfach etwas für ihn; wenn ihm auch der Klang rollender Münzen nicht lieb ist, so verwirft er diesen Lebensweg doch nicht, wenn er die Liebenden zum Ziele führen kann. Bezeichnend ist es, daß Kleist erst jetzt, an vierter Stelle, ein akademisches Amt nennt. „Auch noch ein Amt steht mir offen, ein ehrenvolles Amt, das mir zugleich alle wissenschaftlichen Genüsse gewähren würde, aber freilich kein glänzendes Amt, ein Amt, von dem man freilich als Bürger des Staates nicht, wohl aber als Weltbürger weiter schreiten kann — ich meine ein akademisches Amt." Daß es ihm aber mit der Annahme eines solchen Lehramtes nicht Ernst ist, beweisen am besten die folgenden Worte: „Endlich bleibt es mir noch übrig, die Ökonomie zn stndiren, nm die wichtige Kunst zu lernen, mit geringen Kräften große Wirkungen hervorzubringen. Wenn ich mir diese große Kunst aueigneu könnte, dann, Wilhclmine, könnte ich ganz glücklich sein, dann könnte ich, ein freier Mensch, mein ganzes Leben Ihnen und meinem höchsten Zwecke — oder vielmehr, weil es die Rangvrdnuug so will — meinem höchsten Zwecke und Ihnen widmen." Hierin liegt das Entscheidende: in der „gvldncn Unabhängigkeit," die er schon früher als sein letztes Ziel bezeichnet, sieht er fort und fort die Grundlage seines Glücks. Ein freier Mensch möchte er sein, seinem höchsten Zwecke möchte er leben. Nicht zur akademischen Laufbahn zieht es ihn am meisten, wie Brahm meint, sondern er steht am fünffachen Scheidewege, sinnend, welches Übel das kleinste sei. Das ablehnende Verhalten Kleists jeder amtlichen Stellung gegenüber und der Umstand, daß er mit der Ökonomie die Wünsche seines Herzens am ehesten vereinigen zu können glcinbt, sind wohl zn beachtende Fingerzeige für den weitern Weg, auf welchem wir den im Verborgnen strebenden zu verfolgen haben.
Wir stehen vor der rätselhaften Würzburger Reise, die nach Brahm die
Grenzboten IV. 1386. 42