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Mein Freund der Nihilist.
seine Stelle! Das wird die Menschen körperlich und geistig gesund und darum auch glücklich machen. Sind wir darin einig?
Sie sprechen mir aus der Seele! Nur iu dem Einen greifen Sie fehl, daß Sie diese Erziehung ausschließlich der Schule zuweisen wvllen. Freilich, wenn Sie die Familie abschaffen, bleibt Ihnen nichts andres übrig. Eins noch sagen Sie mir: Sollen denn z. B. alle Jungen Astronomie lernen?
Der Tadel in Ihrer Frage ist bitter, aber völlig ungerecht. Eben deshalb wird das Vorzüglichste geleistet werden, weil die Familien- und Vermögensverhältnisse niemandem mehr beengende Schranken ziehen. Nur die Befähigung wird entscheiden, und alle die vielen Talente, die jetzt im Kampfe mit niedrigen Verhältnissen zu Grunde gehen, werden zu voller Entfaltung kommen. Begreifen Sie denn nicht, daß das eine Blüte der Menschheit geben muß, wie die Welt sie nie gesehen hat?
Wen» es so sein könnte, gewiß! Ich bin aber noch nicht zu Ende mit meinen Fragen. Sie wvllen den Kindern vor allem Moral beibringen. Auf welche positive Neligivu Wolleu Sie sich dabei stützen? Ohne Zweifel doch auf das Christentum?
Nein. Wir verwerfen jede positive Religion, denn wir bedürfen derselben nicht. Jeder Mensch wird einsehen, daß er, um glücklich zu sein, vor allem gut sein muß — darum werden alle gut sein.
Na na! sagt Papa Wraugel. So werfen Sie wohl auch den Glauben an Gott und an eine Fortdauer nach dem Tode über Bord?
Wer au solche von der Wissenschaft längst überwnndne Dinge glauben will, dem werden wir es nicht wehren. Aber in unsern Schulen werden wir diese Lehren nicht dulden; sie würden rasch wieder zu den alten Mißbräuchen im Namen Gottes, zur Priesterherrschaft und zur Unterordnung des eineu Menschen unter den andern führen. Wir aber wollen die Herrscherlosigkeit.
Dies ist der Puukt, Herr Doktor — erwiederte ich nach einer Pause —, wo unsre Wege sich definitiv scheiden. Eine religionslose Moral, wie neuerdings Herbert Spcneer sie predigt, halte ich für das unsinnigste aller Undinge. Außerdem übersehen Sie völlig, daß die Religion nicht dazu allein dienen soll, die Beziehungen der Menschen zu einander zu regeln, sondern vor allem dazu, dem Einzelnen Kraft und Trost im Leiden zn verleihen und ihn über das Elend des Lebens himvegzuheben, durch Vertrauen auf einen gütigen Gott und auf ein Jenseits.
Das erscheint Ihnen so, weil Sie nicht imstande sind, sich von den Angewöhnungen der Kindheit freizumachen. Aber auch andre Überzeugungen als die Ihrigen können dem Menschen beigebracht werden, und ebenso feste. Glauben Sie nicht, daß der Areopag, welcher Sokratcs zum Tode verurteilte, fest überzeugt war von seiner polytheistischen Lehre? oder war etwa Phidias, der den Zeus schuf, ein Dummkopf oder eiu Zweifler? Sehen Sie mich an: ich glanbe